Polen bekommt neue Regierung

Exfinanzminister Marek Belka wird vom Präsidenten zum Premierminister ernannt. Er muss jetzt eine Koalition zusammenzimmern. Vertrauensabstimmung in zwei Wochen

WARSCHAU taz ■ Die Polen sahen in den letzten Monaten so viele Minister kommen und gehen, dass sie der Rücktritt des Premierministers Leszek Miller kaum noch interessiert. Politikmüde verdrehen die meisten Polen nur noch die Augen, wenn sie „Skandal“ hören oder „Bündnis der demokratischen Linken“ (SLD). Immerhin – mit Marek Belka, den Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski gestern und damit nur einen Tag nach dem EU-Beitritt des Landes zum Nachfolger Leszek Millers ernannte, kehrt für viele Polen die Hoffnung auf eine etwas weniger korrumpierte Politik zurück.

Doch die Aufgabe, vor der der parteilose Wirtschaftsprofessor und ehemalige Finanzminister steht, ist denkbar schwierig. Er muss die zerstrittenen Linksparteien Polens wieder unter einen Hut bringen: das Bündnis der demokratischen Linken (SLD), die bislang die Regierung stellte, die Reformbewegung Sozialdemokratie Polens (SDPL), die sich erst vor zwei Monaten von der SLD abspaltete, und die SLD-Koalitionspartei Union der Arbeit (UP).

Doch selbst wenn es Belka gelingen sollte, die „Apparatschiks“ und die „Reformer“ wieder an einen Tisch zu bringen, so werden deren Stimmen doch nicht zum Regieren reichen. Also müsste Belka auch noch die Bauernpartei (PSL) ins Boot holen. Doch deren Vorsitzender Janusz Wojciechowski wusste sehr wohl, dass seine Partei das Zünglein an der Waage ist. Er lehnte Marek Belka als künftigen Regierungschef ab und spekulierte mehr oder weniger offen selbst auf den höchsten Posten in der Regierung für die PSL. Diese Verhandlungen sind gescheitert. Marek Belka hat nun die neue Regierung ohne die PSL gebildet.

Ein großer Teil der bisherigen Minister wird auf ihren Posten verbleiben, allen voran Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz, der die völlig verfahrenen Verhandlungen zur EU-Verfassung wieder auf das rechte Gleis bringen soll. Auch Jerzy Hausner, der dem Superministerium Wirtschaft, Arbeit und Soziales vorsteht und einen Sanierungsplan für die öffentlichen Finanzen vorgelegt hat, soll vorerst auf seinem Posten bleiben. Ebenso der Verteidigungsminister Jerzy Symajdzinski und der mit 30 Jahren jüngste aller Minister, Wojciech Olejniczak. Er hatte im Juli letzten Jahres das Landwirtschaftsministerium übernommen.

Belka wollte allerdings das Superministerium Hausners verkleinern und „Soziales“ ausgliedern. Ministerin für Soziales und stellvertretende Ministerpräsidentin sollte Izabela Jaruga-Nowacka, die Parteichefin der Union der Arbeit (UP), werden. Doch auch dieses konnte Belka nicht erreichen. Hausner wollte die Kontrolle über die Ausgaben für Renten und Sozialleistungen nicht verlieren. Bislang war Jaruga-Nowacka Ministerin für die Gleichstellung von Mann und Frau. Im Kabinett Belkas wird sie stellvertretende Ministerpräsidenten und Ministerin ohne Geschäftsbereich sein.

Neu im Kabinett Belkas wird Ryszard Kalisz sein. Der ewige SLD-Kandidat für den Posten des Justizministers übernimmt das Innenministerium. Außerdem der ehemalige Dissident und Solidarność-Kämpfer Miroslaw Sawicki: Er soll als Bildungsminister dafür sorgen, dass das Niveau in Schulen und Universitäten nicht weiter absinkt.

In zwei Wochen muss Belka sich mit seinen Ministern und dem Regierungsprogramm einem Vertrauensvotum stellen. Sollte er nicht die Zustimmung von mindestens 230 Abgeordneten erhalten, müsste Präsident Kwaśniewski Neuwahlen ausschreiben. Dies fordern ohnehin fast alle Oppositionsparteien. Umfragen zufolge würden sie haushoch gewinnen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären. Die Linksparteien hätten Mühe, über die Fünfprozenthürde zu kommen. GABRIELE LESSER