Therapie statt Seuchen-Check

Das Bremer „Gesundheitsprogramm für Zuwanderer“ feiert sein Zehnjähriges. Wie wichtig die Versorgung auch von papierlosen Menschen ist, betont nicht nur die Senatorin

„Es fehlt an Psychotherapeuten mit interkultureller Kompetenz.“

taz ■ „Zuwanderer schleppen Seuchen wie Tropenkrankheiten und Tuberkulose ein.“ Dieser Satz stammt nicht etwa aus dem Wahlkampf der DVU, sondern war noch vor zehn Jahren anerkannte Haltung des damaligen Bremer Hauptgesundheitsamtes. Die Seuchengefahr galt als das Hauptproblem für die öffentliche Gesundheit, das mit Zuwanderern verbunden wurde.

Eine 1992 vom Bremer Senat in Auftrag gegebene Studie über die gesundheitliche Lage und Versorgung von MigrantInnen in Bremen hatte ergeben, „dass Infektionskrankheiten noch das geringste Gesundheitsproblem der Zuwanderer darstellten“. So referierte gestern Zahra Mohammadzadeh bei der Fachtagung „Zehn Jahre Bremer Gesundheitsprogramm für Zuwanderer“. Sie ist Leiterin des Bereichs „Migration und Gesundheit“ beim Bremer Gesundheitsamt.

Dieses Bremer Programm bedeutete einen Paradigmenwechsel: Weg von der Vorstellung, das deutsche Volk müsse vor eingeschleppten Krankheiten geschützt werden, hin zu einem ganzheitlichem Blick auf die zugewanderten Menschen, von denen viele Fluchterfahrungen und traumatische Erlebnisse hinter sich haben.

Das Bremer Modell biete MigrantInnen eine niedrigschwellige Gesundheitsversorgung auf freiwilliger Basis an, erläuterte die Bereichsleiterin des Gesundheitsamtes. Es gebe keinen Untersuchungszwang, wie ihn in den Neunzigern ankommende Asylsuchende in den meisten Bundesländern über sich ergehen lassen mussten. Statt dessen würden Ärzte einige Stunden pro Woche in sieben der 24 Bremer Unterkünfte Sprechstunden anbieten, erklärte Mohammadzadeh. „Bei größeren Problemen verweisen wir an geeignete Fachärzte“, stellte sie die Mittler-Funktion der Ärzte dar. Inhaltlich kümmert sich das Programm „Refugio“ auch um posttraumatische Belastungsstörungen bei Flüchtlingen, sagte Mohammadzadeh. Ihre Abteilung bemühe sich um die psychotherapeutische Betreuung der Betroffenen. Dennoch blieben Defizite: Die Folgen von Folter und Traumatisierung würden noch nicht genug beachtet. Und die „Daueraufgabe“ der Zukunft liege in der „interkulturellen Öffnung der Gesundheitsdienststellen“, sagte Mohammadzadeh. Die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill ergänzte, dass es in Bremen zwar eine hohe PsychotherapeutInnen-Dichte gebe, dass aber die für diese Fälle benötigte interkulturelle Kompetenz Mangelware sei.

Ein weiteres Problem nannte die Präsidentin der Bremer Ärztekammer, Ursula Auerswald: Sprachschwierigkeiten von MigrantInnen seien ein ernsthaftes Hindernis, an der Gesundheitsversorgung teilzuhaben. Auerswald betonte: „Jeder Arzt muss sicherstellen, dass sein Patient versteht, was mit ihm geschieht.“ Ärzteschaft, Kassen und Politik hätten miteinander gerungen, wie sich Dolmetscherdienste finanzieren lassen könnten, vergeblich. Um den Zugang zu medizinischer Versorgung etwas zu erleichtern, seien im „Ärzte-Navigator“ der Kammer die in Arztpraxen vorhandenen Sprachkompetenzen aufgeführt, berichtete sie.

Holger Dieckmann von MediNetz, einer medizinischen Vermittlungs- und Beratungsstelle vor allem für Papierlose, schätzt das Bremer Programm als „Schritt in die richtige Richtung“ ein. „Aber es reicht nicht“, sagt er. Darüber, dass sowohl Gesundheitssenatorin Karin Röpke (SPD), als auch Ursula Auerswald und der Leiter des Gesundheitsamtes, Jochen Zenker, hervorhoben, wie wichtig die Versorgung papierloser Menschen in Bremen sei, freute sich Dieckmann. „Theoretisch kann unsere Klientel auch zu den Sprechstunden in die Unterkünfte gehen. Aber welche Papierlose wagt sich dort hin?“ Er fügte hinzu: „Dass Frau Auerswald ihre Ärzte auffordert, mit uns zusammenzuarbeiten, ist aber auch schon was.“

Ulrike Bendrat