Ein Jahr Out of Vision

Von der spirituellen Ökologiebewegung in Amerika, dem „New Age“ der Posthippiezeit, beeinflusst, machten sich Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger 2001 elf Monate lang auf, um zu sehen, was davon übrig geblieben war

VON HELMUT HÖGE

Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger wohnen am Bodensee. Die Diplompsychologin leitet seit 20 Jahren „Visionssuchegruppen“ und ihr Mann, Geschäftsführer des Diakonischen Werks in Konstanz, mindestens ebenso lange „Open Space Konferenzen“. Ihre „Weltreise auf der Suche nach Samen für die Zukunft“, die sie 2001 antraten, haben sie in einem Buch zusammengefasst.

Als Erstes besuchten sie ein Camp von Regenwaldaktivisten und die Hippiestadt Nimbim in Australien. Jedes ihrer Reise-Kapitel schließt mit einem Interview ab. Hier ist es eins mit John Seed vom Rainforest Information Center. Er hat eine typische New-Age-Karriere hinter sich: Tune-in – erst Studium, dann Job bei IBM; Turn-on – mit LSD „die Augen öffnen“, sich für Buddhismus interessieren; Drop-out – „Meditationsretreats in Indien und Nepal“, sich mit „Ökologie“ befassen, in eine Landkommune ziehen und Biogemüse anbauen.

Als Baumschützer begeistert Seed sich derzeit für die Gaia-Hypothese. Er nennt das „hitch your wagon on a star“ – andere Visionen brauche er nicht. Die Gaia-Hypothese des Geophysiologen James Lovelock besagt, dass die Erde und ihre Atmosphäre ein einziger Organismus ist. Das Ehepaar Hamburger-Langer nahm bei Brisbane an einem Gaia-Workshop teil. Außerdem besuchte es ein Uni-Seminar von Ureinwohnern Australiens über „Aboriginal Studies“.

Das anschließende Interview mit einem der Dozenten drehte sich um die „Bedeutung des Wissens der First People“ und um deren „Zukunftsvisionen“. Dann ging es weiter nach Perth in Westaustralien, wo sie Jo Vallentine interviewten. Von Petra Kelly agitiert, hatte diese in Westaustralien eine Grüne Partei gegründet, 1992 beendete sie jedoch ihre Parlamentsarbeit und ist nun wieder als Umweltaktivistin unterwegs. „Mein Engagement kommt direkt aus meinem Herzen“, sagt sie. So reden „New-Age-People“. Es klingt immer ein bisschen wie schwäbischer Protestantismus.

Und tatsächlich macht das Ehepaar Hamburger-Langer auch keinen großen Unterschied: zwischen religiösen (Quäker-)Aktivitäten, Friedensgruppen, Öko-Aktivisten, indigenem Culturalism, Vegetarismus, Universitätsseminaren, Meditationsübungen, Riten des Übergangs für Trauernde und semiöffentlichem „Breast-Feeding“, das sich in Australien als ein „unter jungen Frauen verbreitetes Thema“ erwies.

Auf Hawaii besuchten sie ein „Bildungszentrum für gewaltlosen Widerstand“. Dort organisiert man seit dem 11. 9. 2001 „Friedensmahnwachen“, an denen sich auch Ureinwohner und Mitglieder einer Bibelrunde beteiligen.

In Kanada traf das Ehepaar sich dann mit einem Psychologen am Yukon Hospice Center: Er ist Sterbebegleiter für an unheilbaren Krankheiten leidende Ureinwohner. Anschließend besuchte das Ehepaar das Yukon College, eine Ausbildungsstätte für die Ureinwohner, und fragte eine als Bibliothekarin tätige Angehörige des „Raven“-Clan der Nacho Nyak Dun First Nations People über die „Mythologie des Yukon“ aus. Daneben nahmen sie an einem Seminar über die schädlichen Folgen von Alkoholgenuss bei schwangeren Müttern teil, das besonders die Ureinwohner aufklären sollte.

Weiter ging es nach Kalifornien. Dort trafen sie eine Dozentin, die Seminare über „offene Systeme“ abhält und „Schritte zum holonischen Wandel“ entwirft. In ihrer Arbeit, so sagte diese, gehe es um die „Veränderung vom Ego-Selbst zum Öko-Selbst“. Ansonsten sieht sie seit der Verabschiedung des „Patriot Acts“ die USA langsam faschistisch werden. In Oakland besuchte das Ehepaar die private „Universität für Schöpfungsspiritualität“ von Matthew Fox, wo der anglikanische Bischof ebenso wie der Botaniker Rupert Sheldrake lehren. Letzterer versucht seit 1973 die vom russischen Biologen Alexander Gurwitsch aufgestellte Hypothese der morphischen Felder mit Medienexperimenten zu verifizieren. Laut Sheldrake bestehen die formbildenden Kräfte nicht aus Chromosomen oder Genen, sondern aus einem masselosen Feld – in das wir uns einem Radio ähnlich eintunen, damit ein Mensch und nicht zum Beispiel ein Esel aus unserem Keim wird. Sheldrake gehört zum Kern der kalifornischen New-Age-Szene, die sich in den Achtzigerjahren unter anderem in Esalen und in der Ojai-Foundation versammelte.

Herrschaftslose Affen

In San Rafael traf das Ehepaar auf Ralph Gunter Metzner. Der Harvard-Psychologe unternahm einst mit Timothy Leary und Richard Alpert LSD-Experimente – bis man sie von der Uni schmiss. Heute ist er Dozent am California Institute for Integral Studies (CIIS). Als Gründer der Green Earth Foundation will er „die Beziehungen zwischen Mensch und Natur heilen“. Dabei ist Metzner zum Beispiel in seinem demnächst auf Deutsch erscheinenden Buch über „Krieg und Herrschaft“ alles andere als optimistisch. In seiner US-anthropologischen Sichtweise zieht er Hoffnung allenfalls noch aus gewissen Affenforschungen: zum Beispiel der des Kaliforniers Robert Zapolsky, der in Uganda Paviane erforschte, die nach dem plötzlichen Tod des ranghöchsten Männchens diesen Rang in ihrer Horde einfach nicht mehr besetzten – und fortan quasi führerlos, dafür aber um so fröhlicher weiterlebten.

Als das Naturschutzgebiet und mit ihm die autonome Pavianhorde zerstört wurde, gab er seine Affenforschung auf. Statt weiter positiv zu denken, beschäftigt er sich nun mit Depressionen. In seinem Buch „Warum Zebras keine Magengeschwüre bekommen“ schreibt er: „Vereinfacht dargestellt können Sie sich das Auftreten einer Depression wie folgt vorstellen: Ihr Stammhirn entwickelt einen abstrakten negativen Gedanken und schafft es, den Rest des Gehirns davon zu überzeugen, dass er wirklich ist wie ein realer Stressfaktor.“ Dass es der Zustand der Welt ist, der uns deprimiert, darauf will er sich in seinem naiven Materialismus nicht einlassen.

Über führungslose Pavianhorden forschte im Übrigen auch jahrzehntelang der Zürcher Biologe Hans Kummer – in Äthiopien. Über eine andere Variante herrschaftsfreier Affenhorden referierte 1992 ein US-Biologe auf dem internationalen Primatenkongress in Torremolinos: Er hatte den Kot einer Gruppe Kapuzineraffen genetisch untersucht und dabei festgestellt, dass kein einziges Junges vom ranghöchsten Männchen abstammte – obwohl dieser quasi die alleinige Vaterschaft in der Gruppe beanspruchte.

Gnadenlos visionär

Neben solchen Affenforschungen kann sich Metzner auch noch an einem Radiosender in San Francisco erfreuen, „der jeden Morgen nur gute Nachrichten verbreitet“. Auch er hat jedoch das Gefühl, in einer Zeit „wachsenden Faschismus und Imperialismus“ zu leben.

Nach Metzner traf das Paar den Afrikaner Mutombo Mpanya, den es bereits 1996 in einem Seminar am Institute for Deep Ecology in Seattle kennenlernte. Er meint, „Afrika ist vollkommen im Privatbesitz der westlichen Welt“ und „die Bekehrung der Menschen zum Christentum in den sogenannten ‚primitiven Gesellschaften‘ schuf ein isoliertes und individualistisches Bewusstsein.“ Dieses macht Mpanya nun für die Übel der Welt verantwortlich.

In Oakland sprachen Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger mit Marshall Rosenberg, dem Gründer des International Center for Non-violent Communication. Die im Center gelehrte „mitfühlende Sprache“ lasse sich auch missbrauchen, meint Rosenberg und erwähnt einen seiner Studenten, der später sehr erfolgreich selber „gewaltlose Kommunikation“ lehrte und zwar in einem Unternehmen, das die Mitarbeiter daran hindern wollte, Gewerkschaften zu gründen. Ein Besuch im kalifornischen „Vision Valley“ war für die Hamburger-Langers natürlich Pflicht.

Anschließend besuchten sie den im Sterben liegenden Weltverbesserer Steven Foster. Mit ihm führten sie ein Interview an der School of Lost Borders, wo „Vision Fast“-Kurse stattfinden. Für Foster ist „eine Vision kein Luftschloss, keine Täuschung – sie ist eher etwas ganz Praktisches, das getan wird“. Ich fragte mich nach dieser langen Visionssuche, warum die Autoren unbedingt und ständig von „Visionen“ sprechen – von Halluzinationen also?

Wo wir doch seit Platon, Thomas Morus und Charles Fourier das schöne Wort „Utopie“ haben für einen Ort, den es (noch) nicht gibt.

Wobei uns seit Michel Foucault die „Atopie“ sogar noch lieber ist – also etwas, das keinen Ort hat. Und da soll es auch bleiben. Besteht nicht das ganze Elend der Welt derzeit vor allem darin, dass hier permanent irgendwelche Supervisionen in die Wirklichkeit eingebildet werden?

Der Schluss des Buches von Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger versöhnte mich wieder etwas mit ihm: „Ursprünglich hatten wir geplant, zwei Wochen länger im Suskwa Valley zu bleiben, aber der bevorstehende Tod unserer Hündin Ora lässt uns früher abreisen. Der Abschied von liebgewonnenen Freunden fällt schwer. Gemeinsam tanzen wir noch einmal den Ulmentanz – auch für Ora.“

Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger: „Ein Stern sei mein Wagenlenker. Eine Weltreise auf der Suche nach Samen für die Zukunft“. Edition Octopus, Münster 2008, 612 Seiten, 44,20 €