robin alexander über Schicksal
: Werbung bis zum Bewusstsein

Es reicht der Wirtschaft nicht, mir Bier und Autos zu verkaufen. Sie will, dass ich auch ein besserer Mensch werde

Jeden Morgen schreit mich eine Frau an. Sie trägt hohe Stiefel, eine ganz enge kurze Hose und hat ihre enormen Brüste mit einem Korsett hochgeschnürt. Auf ihrem Kopf trägt sie eine Kappe mit einem großen Stern. Sie brüllt: „Sie haben keine Superpower. Aber Stammzellen gegen Leukämie.“

Außerdem fliegt die Frau durch die Luft. Sie ist eine Comicfigur im Superhelden-Stil, und die Deutsche Knochenmarkspenderdatei hat sie auf zwei mal vier Meter großen Plakaten neben meine Wohnung gehängt. Gleich dreimal.

Nicht, dass ich irgendetwas gegen das Anliegen der Knochenmarkspenderdatei hätte. Im Gegenteil: Wer noch nicht registriert ist, sollte sich am besten noch heute unter www.dkms.de informieren.

Ich wundere mich nur über die Werbung. Über diese Art von Werbung. Normale Werbung funktioniert anders. Normale Werbung schafft Bedürfnisse nach Konsumgütern. Wir arbeiten, um sie kaufen zu können. Genug Absatz sichert Wachstum und damit unsere Arbeitsplätze. Läuft dieser Kreislauf, wird der Kanzler wiedergewählt, und auch sonst ist alles in Butter – bis auf die Nebensache, dass wir mit unserem Ressourcenverbrauch den Planeten in die Luft jagen.

Aber hier geht es eben nicht um normale Werbung. Die Plakate neben meiner Wohnung preisen nie so nützliche Dinge wie Autos, Bier oder Wachsstreifen, mit denen sich Frauen die Haare aus den Beinen reißen. Die Plakate neben meiner Wohnung zeigen afrikanische und asiatische Kinder, die angeblich Paten in Deutschland suchen. Oder sie zeigen ein Mädchen und behaupten, dieses müsse sich nicht prostituieren, überweise man etwas Geld an „Brot für die Welt“. Andere Plakate erinnern mich an Aids, an die Möglichkeit, mit nur zweieinhalb Euro einen Leprafall heilen zu können, oder an die skandalöse Praktik der Genitalbeschneidung bei Frauen in einer Weltgegend, die mir gerade entfallen ist. Auf Plakate blickt man ja nur kurz und beiläufig.

Auch die Bundesregierung spricht mit mir über diese Plakatwände. Während die Hilfsorganisationen mich durch Beunruhigung aktivieren wollen, teilt mir die Regierung eher mit, dass etwas sei, wie es sein soll. Etwa dass das neue staatliche Biosiegel erfreulicherweise auch wirklich auf Bioprodukten klebe. Oder dass Sport immer noch im Verein am schönsten sei.

Dass ich von Werbeträgern belagert werde, irritiert mich nicht. Das werden wir doch alle. Aber ausgerechnet mir will die Werbung nie irgendwelchen Tinnef verkaufen, sondern immer nur Bewusstsein. Bewusstsein für das Schlechte (Kindersoldaten, Prostitution, Aids) und das Gute (Bioprodukte und Vereinssport). Ich wollte schon bei der Firma anrufen, die die Plakatwände vermietet: Warum wird ausgerechnet neben meiner Wohnung immer nur Bewusstsein plakatiert – und nie Konsum? Vielleicht liegt es am Standort der Plakate. Gegenüber liegt ein Kinderspielplatz, daneben fließt geruhsam ein Fluß. Eigentlich eine toter Winkel. Wer nicht zu mir will, kommt dort nicht vorbei. Nicht einmal die Polizei: Oft stellen Brummifahrer ihre langen Lastwagen nachts vor den Plakaten ab.

Sind also Binnenschiffer, Trucker und Kinder die Zielgruppe für mehr Bewusstsein um die Probleme dieser Welt? Sollen ausgerechnet Binnenschiffer, Trucker und Kinder Patenschaften übernehmen, Stammzellen spenden und Kondome benutzen? Okay, das mit den Kondomen ergibt bei Truckern Sinn.

Die tiefere Ursache liegt anderswo. „Sagen Sie meiner Mutter nicht, dass ich in der Werbung bin. Sie denkt, ich sei Pianist in einem Bordell.“ So beurteilt Jacques Séguéla das Prestige seiner Branche. Weil der Franzose einer der erfolgreichsten Werber in Europa ist, kann er es sich leisten auszusprechen, was die weniger erfolgeichen Werber hinter Dynamik und affektiertem Getue verbergen: Autos und Bier zu verkaufen ist eine nur bedingt Sinn stiftende Tätigkeit – Knochenmarkspender zu finden und Patenschaften zu vermitteln hingegen schon. Darum machen die Agenturen solche Kampagnen zum Freundschaftspreis, und die Plakatvermittler rücken gern die billigen Plätze raus. Die Bewusstseinswerbung kündet nicht wirklich von Elend und Armut, ihre eigentliche Botschaft ist: Werber sind gute Menschen.

Das allerneueste Riesenposter neben meiner Wohnung zeigt übrigens zwei unglaublich große Männerbäuche. Darüber spannen sich wie Zelte zwei grünblaue T-Shirts mit der Aufschrift: „Rettet die Dicken!“ Darunter steht: „Die Wildecker Herzbuben engagieren sich gegen Walfang“.

Fragen zur Bewusstseinswerbung? kolumne@taz.de