SPD will Kitazwang für Kinder

Eine gute vorschulische Förderung bringt Chancengleichheit und verbessert die Sprachkompetenz. Wenn die Eltern ihre Kids nicht freiwillig in die Kita schicken, will die SPD sie nun verpflichten

VON WIBKE BERGEMANN

Das Problem ist bereits erkannt. Spätestens der Bärenstark-Sprachtest hat den dringenden Handlungsbedarf verdeutlicht: Danach brauchen 80 Prozent der Berliner Schulanfänger nichtdeutscher Herkunfts und 28 Prozent der deutschen Kids eine Sprachförderung.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karlheiz Nolte will daher eine Kita-Pflicht für alle Kinder einführen, bei denen absehbar ist, dass sie bei der Einschulung dem Unterricht nicht folgen werden können. Nolte betont, dass diese Verpflichtung nicht für alle Kinder gelten soll. „Ich will nicht die Elternrechte einschränken“, sagte Nolte. „Wir sollten nur dann einschreiten, wenn Eltern ihrer Pflicht nicht nachkommen, die Kinder ausreichend zu fördern.“ Der Staat dürfe nicht wegschauen, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigten. Selbstverständlich müsse der erzwungene Kitabesuch kostenfrei bleiben. „Das ist immer noch billiger als die Folgekosten“, so Nolte.

Heute will der Arbeitskreis Bildung der SPD-Fraktion das Thema erörtern. Unterstützung findet Nolte bei der bildungspolitischen Sprecherin der Fraktion, Felicitas Tesch: „Ich könnte mir vorstellen den Sprachstandstest ‚Deutsch Plus‘ schon zwischen drei und vier Jahren durchzuführen, um Sprachprobleme frühzeitig zu erkennen.“ Ab kommendem Jahr werden Kinder in Berlin ein Jahr vor der Einschulung getestet. Förderungsbedürftige müssen dann einen halbjährigen Intensivkurs besuchen. „Von den Sprachproblemen sind ja auch deutsche Kinder betroffen“, so Tesch.

Tatsächlich haben nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung im vergangenen Jahr 96 Prozent der Berliner ABC-Schützen eine vorschulische Einrichtung besucht. Bei den Kindern nichtdeutscher Herkunft lag die Quote bei 94,2 Prozent. Auch das Angebot sei ausreichend: „Wer sein Kind nicht in die Kita schickt, der will nicht“, sagt Verwaltungssprecherin Rita Hermanns. Ein Problem sind dagegen die großen Unterschiede zwischen den Bezirken. So besuchen in sozial belasteten Bezirken wie Wedding oder Neukölln nur etwa 70 Prozent der Vorschulkinder eine Kita. Sven Walter vom Berliner Institut für kreative Sprachförderung kritisiert zudem, dass viele Kinder erst im letzten Jahr vor der Einschulung in eine Kita kommen. Eine effektive Sprachförderung müsse schon mit drei bis vier Jahren beginnen. Der Sprachforscher hält die Kita-Verpflichtung für geeignet, allerdings müssten die Rahmenbedingungen stimmen: „Bei rund 15 Kindern pro Gruppe hilft auch die gute Qualifikation der Erzieherinnen nicht.“

Auf Ablehnung stößt der Vorschlag aus der SPD-Fraktion dagegen beim Koalitionspartner. „Man wird verfassungsrechtliche Probleme bekommen, wenn man versucht, die Familien zu entmündigen“, sagt Margrit Barth, jugendpolitische Sprecherin der PDS. „Vielleicht sind wir DDR-Menschen da etwas sensibler.“ Statt Kinder „zwangszuverpflichten“ sollten niedrigschwellige Bildungs- und Beratungsangebote aufgestockt werden. –„Gerade die haben wir in letzter Zeit aber abgebaut“, so Barth.

„Eine Maßnahme wie die Kitapflicht würde erst in fünf oder sechs Jahren greifen“, kritisiert auch Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Sie plädiert seit langem für eine verbindliche kostenfreie „Startklasse“ für alle, die ein Jahr vor der Schule beginnt. Mit dem neuen vorgezogenen Einschulungsalter in Berlin würde das eine Vorschule ab viereinhalb Jahren bedeuten. „Wenn wir früh lernen, lernen wir schnell und effektiv“, so Senftleben.