nachgefragt
: Bremer Sozialwissenschaftler kritisiert Kürzungen

Beratungsstellen sind effizienter

Nach Bekanntwerden der Streichpläne im Sozialressort bat die taz den Leiter des Forschungsbereichs „Gesundheitspolitik und medizinische Versorgung“ am Zentrum für Sozialpolitik, Bernard Braun, um seine Einschätzung der Folgen.

taz: Frauengesundheitszentrum, AIDS-Hilfe und Erziehungsberatungsstellen argumentieren, bei ihrer Streichung entstünden Bremen höhere Folgekosten.

Bernard Braun: Ich teile diese Position. Diese Stellen sind entstanden, weil die davor zuständigen Einrichtungen nicht wirksam genug waren, nicht akzeptiert worden sind, viel Geld gekostet haben und keinen Erfolg hatten.

„Wir machen aus einem Euro, den wir bekommen, 1,20 Euro, das kann das Gesundheitsamt nicht“ sagt die AIDS-Hilfe...

Zu genauen Beträgen kann ich nichts sagen. Jedenfalls haben sich, etwa bei der AIDS-Hilfe oder bei der Frauengesundheit, Betroffene zusammengeschlossen und versucht, es besser zu machen. Es gibt Belege dafür, dass selbstorganisierte Einrichtungen wirksamer und wirtschaftlicher sind, weil sie mit geringerem Aufwand mehr schaffen.

Konkret?

Im Bereich der Frauengesundheit oder der AIDS-Hilfe war klar, dass es nur zum Teil auf die bio-medizinische Versorgung ankommt, sondern psychosoziale Aspekte wichtiger waren. In diesen Stellen sind Betroffene, die genau wissen, was ihre Mitbetroffenen brauchen – und das viel zielgenauer anbieten können. Das bekommen traditionell medizinisch ausgebildete Personen nicht so gut hin.

Ist das Geld, das Erziehungberatungsstellen bekommen, eine Investition in Bildung?

Ja, schon...

... also sind es investive Mittel?

Wenn man keinen so engen Begriff von Investitionen hat, wie ihn Betriebswirte haben, sondern auch von sozialen Investitionen redet, dann ist das so. Studien zeigen, dass die Erkrankungslast von älteren Menschen niedriger ist bei Leuten mit einem hohen Bildungsstand. In den Vereinigten Staaten gibt es eine Debatte, die sagt, ein Teil einer sehr guten Gesundheitspolitik muss Bildungspolitik sein.

Wie wirkt sich die Streichung von präventiv arbeitenden Stellen langfristig aus?

Es gibt im Prinzip zwei Auswirkungen. Die eine ist direkt ökonomisch. Außerdem gibt es einen politischen Effekt: Diese Stellen zeigen, dass sich Menschen eigenständig darum bemühen, mit sozialen oder gesundheitlichen Problemen umzugehen, also Eigenverantwortung tragen. Die wird ja permanent gefordert und ist ohne Zweifel wichtig für ein humanes und finanzierbares Gesundheits- und Sozialwesen. Wenn man diesen Einrichtungen, die vielfach von ehrenamtlichen Trägern vorangetrieben werden, das Geld entzieht, sendet man das Signal aus, dass diese Gesellschaft wenig Wert auf sowas legt.

Die Streichungen sind also doppelt kontraproduktiv?

Ja. Und wenn man erlebt, dass permanent gestrichen wird, verbreitet das eine Atmosphäre von Apokalypse und Niedergang. Wenn man die Leute so fertig macht, auch durch solche kleinen Scheibchen wie 100.000 Euro für eine Beratungsstelle, dann darf man sich nicht wundern, wenn die sich auch für andere Dinge nicht mehr mobilisieren lassen.Fragen: Ulrike Bendrat