Leben im Busch der Geister

Wenn sich Elektronik mit afrikanischen Roots paart, steckt meist ein europäischer Produzent dahinter. Dabei hat man sich längst auch in Afrika der Computer und Sample-Programme bemächtigt

VON STEFAN FRANZEN

„Retrofuturismus statt Neokolonialismus“ – mit diesem Slogan preist die Plattenfirma das Album der Sängerin Mamani Keïta und des Pariser Produzenten Marc Minelli an. Die beiden kombinieren Klänge aus der Sahelzone mit elektronischen Club-Beats. Auf „Elektro Bamako“ werden die glockenhellen Gesänge der Bambara-Frau zwar vollkommen aus ihrem ursprünglichen Umfeld herausgelöst und mit Bebop-Saxophon, Jazzpiano-Sentenzen und Wah-Wah-Gitarre versetzt. Doch dabei gerät die Stimme nie unter das Räderwerk der Computer, sondern kann in der ersten Reihe agieren – ein recht überzeugendes Miteinander von Samplern und Savannen-Sound. Die Sängerin selbst war bei den Aufnahmen freilich nicht persönlich zugegen, sondern übermittelte ihre Beiträge per Tape.

Eine ähnliche Metamorphose vollzog sich mit Issa Bagayogo: Einst war er Hirsefarmer und Taxifahrer, nun ist er „Techno-Issa“ und Liebling der Kids aus Mali: eine wundersame Wandlung, die er nicht aus eigenen Kräften bewältigte. Traditionelle Kassetten-Aufnahmen hatten zunächst nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Den Durchbruch bescherte ihm erst die experimentelle Überarbeitung seiner ruppigen Wassoulou-Gesänge durch den französischen Tontechniker Yver Wernert. Vor dieser Kombination hatte Issa Babayogo anfänglich sogar Angst: Er fürchtete den Geist aus der Maschine.

Folglich trägt die Aufnahme auch kaum seine persönliche Handschrift, sondern wuchs in den Bogolan-Studios von Bamako heran, wo sich Yves Wernert eingenistet hatte. Auf „Timbuktu“, dem zweiten Album von Issa Babayogo, zirpt da knochentrocken die Buschharfe zu zahmen House-Rhythmen und zurückgelehntem Dub, und gleißende E-Gitarren streiten mit dem Ur-Banjo Ngoni um die Vorherrschaft.

Bagayogo selbst, mit leicht nasalem, gepresstem Gesang, beschwört die Krieger des legendären Mande-Reiches, setzt sich in seiner selbst verfassten Lyrik aber auch mit zeitgemäßen Themen wie dem Drogenkonsum auseinander. Ein Produkt, das den Geschmack vieler Weltmusik-Hörer traf, dem aber ein Hauch von Aneignung anhaftet.

Unbestrittener Platzhirsch der Sparte „Afroelectronika“ ist der DJ Frédéric Galliano. An seinen Projekten lässt sich allerdings das Dilemma zwischen „Afro“ und „Electro“ am besten ablesen. Äußerst unwirsch reagiert der Franzose, wenn man ihn auf seinen Konkurrenten Yves Wernert anspricht: „Er agiert wie ein Kolonialist, der sich der Gegebenheiten vor Ort bedient, aber keine echte Kollaboration oder Austausch sucht“, lautet sein Kommentar.

Für den unbefangenen Hörer freilich unterscheidet sich Gallianos eigene Arbeit allerdings kaum von den Produktionen des Landsmanns: Zu seinem „African Divas“-Programm lud Galliao Vokalistinnen aus Mali und Guinea ein, unter ihnen auch die in Europa bekannte Nahawa Doumbia. Ihre Gesänge sampelte er in House- und Dub-Strukturen hinein. Auf der Bühne zeigt sich jedoch: Das Zwitterkonzept von DJ-Set und Sahel-Roots wirkt äußerst halbgar. In den Vokalpausen wirken die Diven in ihren bunten Gewändern wie schmückendes Beiwerk, während hinter ihnen die Loops durchrattern.

Eine ganz anderes Projekt verfolgt Galliano mit seinem Label Frikyiwa. Im Savannen-Dorf Bougouni im Südwesten Malis entstanden zunächst rein akustische Aufnahmen mit heimischen Musikern. „Wenn man sich in der natürlichen Umgebung des Künstlers aufhält, dann hat man Zugang zu Klängen, Musikern und Situationen, denen man niemals in der Umgebung eines sterilen Studios begegnen würde“, legt Galliano dar. „Darin liegt mein Interesse: In der Lage zu sein, ein Album mit dem Unerwarteten zu bereichern. Mein Ansatz ist also rootsiger als der von europäischen Studioarbeiten – andererseits aber auch zugänglicher und lebendiger als eine ethnomusikologische Feldaufnahme.“

Von dieser Philosophie ausgehend, setzten sich die Bougouni-Sessions in nächtlichen Streifzügen fort. Gallianos Freund Marc Chalosse aka Lipitone begleitete mit seinem DAT-Rekorder örtliche Fischer, bannte Traumpoesie lokaler Dichter aufs Band und fing im Morgengrauen den Ruf des Muezzins ein. Eine faszinierende Reise in die afrikanische Nacht, ergänzt durch Dub-Effekte und Orgel-Improvisationen.

Lipitones Album ist Teil der Soundscapes-Serie „Nuits sur Écoute“, den das Frikyiwa-Team in der senegalesischen Casamance fortsetzte. Hierzu lud man mit Gérard Torres einen Vertreter der musique concrète, der beim Diolla-Volk aufgenommene Klänge per Computer zu einer richtigen Suite entwickelte. „Ich wollte ursprünglich akustische Landschaftsaufnahmen machen“, erinnert sich Torres, der unter dem Pseudonym Louis 2000 arbeitet. „Aber da draußen war ein omnipräsenter Puls, und so hat sich das Gewicht mehr aufs Rhythmische verlagert.“ Initiationsriten, singende Pfadfinder, das unheimliche Selbstgespräch eines Mannes, der seinen eigenen Schatten jagt, verschmelzen zu einem psychedelischen Rundgang durch den Ort Bignona.

Sowohl die Aufnahmen Lipitones als auch von Louis 2000 muten an wie neue Ton-Collagen zur Novelle „My Life In The Bush Of Ghosts“ des nigerianischen Autors Amos Tutuolas, die schon David Byrne und Brian Eno 1982 zu ihrem gleichnamigen Album inspiriert hatte. Damals war es die Abstraktion, die Unschärfe des Fantastischen, die den Beigeschmack schmückender Klang-Exotik vermeiden ließ. Diesen zu umgehen tun sich europäische Produzenten jedoch immer noch schwer.

Mamani Keïta & Marc Minelli: „Electro Bamako“ (Universal); Issa Bagayogo: „Timbuktu“ (Six Degrees Records); Frédéric Galliano: „Sacré Live!“ (F Communications/Rough Trade); Lipitone: „Bougouni“ und Louis 2000: „Bignona“ (beide Frikyiwa/Rough Trade)