Indian Ocean Social Club

Vor hundert Jahren ließ der Sultan von Oman auf der Gewürzinsel Sansibar Musikvereine gründen. Deren Taarab-Stil hat sich seitdem zum Partysound gemausert und in ganz Ostafrika verbreitet

In den 1920er-Jahren sorgte die Sängerin Sitti Bindi Saad auf Schellack für Furore: Sie gilt als Mutter des Taarab

VON CHRISTOPH WAGNER

Erst nachdem die Sonne hinter den Steinhäusern der Altstadt untergegangen ist und der Muezzin die Gläubigen zum Gebet gerufen hat, bricht in Sansibar-Stadt die Zeit der abendlichen Muße an. Jetzt hallt nur noch der Lärm eines Motorrollers durch die engen Gassen oder das Quietschen einer Wasserpumpe. Während sich die Männer zum Palaver vor den Cafés treffen, kommen die Mitglieder des örtlichen Musikklubs im Vereinsheim im Vuga-Viertel zum Übungsabend zusammen. Über der Eingangstür, die mit arabischen Fresken-Schnitzereien verziert ist, hängt ein Schild, auf dem in weißen Lettern steht: „Culture Musical Club“. In Swahili heißt der Verein „Mila na Utamanduni“. Er wurde 1958 gegründet und stellt neben dem Ikhwani Safaa Musical Club, der schon 1905 entstand, die größte Taarab-Spielvereinigungen der Stadt dar.

Im Saal des schmucklosen Klubhauses, wo ein paar Stühle und ein alter Fernsehapparat stehen und nichts außer einer Wandtafel und einem Anschlagbrett die Wände schmückt, findet am Nachmittag der Musikunterricht statt. Ältere Mitglieder wie der 79-jährige Said Nassor bringen Anfängern das Spiel der Laute oder Geige bei.

Jetzt am Abend ist allerdings eine Orchesterprobe angesetzt. Geigen und Gitarren werden ausgepackt, ein Cello gestimmt und ein Akkordeon eingespielt. Qanun-Zither, Ud-Laute und eine Nai-Flöte aus Blech kommen dazu, ebenso Tamburins und Bongo-Trommeln. In der Ecke zieht ein Musiker seinem altersgebrechlichen Kontrabass neue Saiten auf, wofür Angelschnüre verwendet werden. Ersatzteile für Instrumente sind auf Sansibar schwer zu bekommen, da die Gewürzinsel seit langem in einer wirtschaftliche Misere steckt.

Und dann hebt das zwei Dutzend Mitglieder starke Orchester zu spielen an und lässt eine wunderbar gemächliche Musik erklingen, die nach Orient duftet und so sanft dahinfließt wie die Wellen des Indischen Ozeans vor der Haustür. Im Tuttisatz intonieren die Violinen die Melodien so geschmeidig wie Mantovanis Geiger. Abwechselnd antworten darauf verschiedene Soloinstrumente, sei es die Zither oder das Akkordeon, während Trommeln und Perkussioninstrumente einen eleganten Rhythmusteppich ausbreiten.

„Taarab“ heißt der Stil, der auf Sansibar daheim ist. Der Begriff stammt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie „Verzauberung“ oder „Verzückung“ durch Musikmachen und Musikhören. In den 1930er-Jahren bürgerte sich die Bezeichnung ein, als mit den ersten Schellackplatten und Musikfilmen die arabisch-ägyptische Musik immer populärer wurde, allen voran die Sängerin Umm Kalthum.

Allerdings reicht die arabische Einfärbung der örtlichen Traditionen noch weiter zurück. Schon immer war die Insel vor der ostafrikanischen Küste ein Kreuzungspunkt vielfältiger Kulturen gewesen. Hier vermischten sich von alters her die Einflüsse: indische, afrikanische, europäische und vor allem arabische.

Die Sultane von Oman, die im 18. Jahrhundert die Herrschaft über Sansibar erlangt hatten, unterhielten enge Kontakte zur ägyptischen Hauptstadt. Wie die Legende weiß, soll 1870 sogar ein Musiker dorthin geschickt worden sein, um das Spiel der Trapez-Zither zu erlernen. Nach seiner Rückkehr wurde er prompt zum Hofsänger ernannt.

Um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, richtete Sultan Ali Bin Hamoud, der in England erzogen worden war, 1905 Kulturvereine für Männer ein und beschaffte Musikinstrumente aus Kairo. Von dort wurden auch eigens Musiklehrer angeworben. Diese Hofmusikanten begleiteten Sänger, die ursprünglich Lieder in Arabisch sangen. Später kamen immer mehr Stücke in Swahili dazu, und nach dem Vorbild ägyptischer Filmorchester entstanden größere Formationen, die anfangs nur instrumentale Musik zum Zuhören machten: Klänge der Versenkung, nicht zum Tanzen!

Ende der 1920er-Jahre erfuhr die homogene Männerwelt der Musikklubs eine Erschütterung, als die Sängerin Sitti Binti Saad die Szene betrat und für Furore sorgte. Als junge Frau hatte Sitti Binti Saad, deren Eltern noch in Sklaverei gelebt hatten, Ehemann und Familie auf dem tansanischen Festland zurückgelassen und war nach Sansibar-Stadt gezogen, wo sie Musikunterricht nahm. Eine steile Karriere folgte. Zwischen 1928 und 1931 spielte sie dutzende von Schallplatten ein, einige davon bei drei recording trips ins indische Bombay, wo das Phonounternehmen „His Master Voice“ eigene Studios betrieb.

Bei den Aufnahmen musste sie sich zeitlichen Beschränkungen unterwerfen, denn auf eine Schellackplatte passten nur rund sechs Minuten pro Seite, die Stücke mussten also verkürzt und in der Hälfte unterbrochen werden.

Heute gilt Sitti Bindi Saad als Mutter des Taarab. Sie hat nicht nur Frauen wie den Sängerinnen Rukia Ramadhani und Fatma Issa vom Culture Musical Club den Weg ins öffentliche Musikleben gebahnt, sondern auch durch ihren sensationellen Erfolg den Stil weit über Sansibar hinaus populär gemacht. Entlang der ganzen ostafrikanischen Küste wird inzwischen Taarab gehört. Allerdings hat die Musik dabei einen Funktionswandel erfahren: Aus den einst introvertierten Klängen ist ein Tanz- und Partysound geworden, dessen kesse Liedtexte bei Frauen besondes gut ankommen.

Gleichzeitig hat sich der Stil in verschiedene regionale Spielarten aufgefächert. Ob in Mombasa, Daressalam oder Tanga – überall klingt Taarab etwas anders. Schon außerhalb der Altstadt, in den ärmerer Vierteln von Sansibar-Stadt, wird eine Stilvariante namens Kidumbak gepflegt, die rauer und ungehobelter daherkommt, auch weniger arabisch klingt und stärker auf afrikanischer Trommelrhythmik basiert. Eine Geige prägt den Ton, während ein selbst gebauter Zuberbass mit nur einer Saite für die Grundierung sorgt. Diese kleine Besetzung sorgt häufig bei Hochzeiten für Stimmung, wo der Alkohol in Strömen fließt.

Bei solchen Anlässen kann man auch aufgekratzten Blaskapellen begegnen, die auf Sansibar beni genannt werden, ein Wort, das von der englischen Bezeichnung „Band“ herrührt und auf die Militärkapellen der englischen Kolonialzeit verweist.

Heute feuern diese Brassbands Tanzpaare bei anzüglichen Hochzeitstänzen an oder treten bei karnevalistischen Umzügen in der Zeit vor Ramadan auf. Der Trompeter braucht nur die Anfangstöne eines Stücks zu spielen, und schon fällt die ganze Kapelle ein.

Culture Musical Club auf Tour: 26. 5. Zürich, 27. 5. Darmstadt, 25. 7. Lörrach, 27. 7. Bremen, 28. 7. Karlsruhe, 29. 7. Jena, 30. 7. Nürnberg, 31. 7. Kassel