Frauen befreien sich vom Kreuz

Der katholischen Kirche laufen in Berlin die Frauen weg, Austritte häufen sich. Dass sich Kardinal Sterzinsky „Gendergerechtigkeit“ auf die Fahne schreibt, ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis

VON WIBKE BERGEMANN

Die katholische Kirche leidet an Mitgliederschwund. So weit, so bekannt. Auch die Frauen, die der Kirche lange Zeit die Treue hielten, treten mittlerweile in großer Zahl aus. 1.591 Frauen kehrten im vergangenen Jahr in Berlin der Kirche den Rücken – ungefähr die Hälfte der Austritte in diesem Jahr. „Viele junge Frauen engagieren sich nicht mehr, weil sie die Kirche als eine frauenfeindliche Institution erleben“, sagt Mechthild Schuchert, die frisch gewählte Vorsitzende der Frauenkommission des Erzbistums. „Dabei prägen Frauen das Kirchenleben.“

Vor allem die ehrenamtlichen Tätigkeiten in den Gemeinden sind mehrheitlich Frauensache. „Die sozialen Tätigkeiten werden noch immer niedriger bewertet, das drückt sich nicht zuletzt in der Bezahlung aus. Dabei entsprechen diese klassisch weiblichen Aufgaben eigentlich den kirchlichen Werten“, sagt Schuchert. Der Auszug der Frauen aus der Kirche könnte also drastische Folgen für die ehrenamtliche Arbeit in den Gemeinden haben. Keine gute Aussichten, schließlich werden wegen des Einstellungsstopps im Bistum immer mehr Aufgaben durch Ehrenamtliche übernommen.

Zwar ist die Abkehr der Frauen von der Kirche schon lange zu beobachten, schon 1995 stellte eine Allensbach-Umfrage fest, dass mehr als 54 Prozent aller katholischen Frauen Kirche als „Männerkirche“ erleben. Neu ist dagegen, dass die Kirchenleitung darauf auch reagiert. In seinen neuen pastoralen Leitlinien erklärt Kardinal Georg Sterzinsky die „Gendergerechtigkeit“ zu einer durchlaufenden Perspektive pastoraler Arbeit: „Die Frauen haben ihren Platz in der Kirche noch längst nicht gefunden. Die Dringlichkeit kann nicht ohne schwerwiegende Folgeschäden übersehen werden.“

Ein Grund zur Hoffnung? „Es wird keine revolutionären Veränderungen geben“, wiegelt der Bistumssprecher Stefan Förner ab. Die Bemerkungen seien vor allem eine Anregung für die unteren pastoralen Ebenen. Und ein Appell an die Frauen, „sich in der Kirche zu Wort zu melden“. Das ist Mechthild Schuchert zu einfach: „Wenn sie gehört werden, melden sich Frauen auch zu Wort.“

Doch diese Erfahrung machen Frauen in der Kirche eher selten. Das läge am System: Veränderungen würden sowohl auf den unteren Ebenen wie auch von oben gebremst. Die jungen Frauen schrecke vor allem ab, dass Kirche ihnen so wenig Möglichkeiten der Teilhabe bietet, so Schuchert. Wie wenig die Kirche bereit ist, sich gesellschaftlichen Realitäten zu öffnen, ist manchmal ganz offensichtlich: etwa wenn die homosexuelle Lebenspartnerschaft zum Kündigungsgrund wird, wenn Frauen, die sich zu Priesterinnen weihen lassen, exkommuniziert werden, und nicht zuletzt beim Ausstieg der katholischen Kirche aus der Konfliktberatung für Schwangere. Doch meistens ist das sture Festhalten an der Tradition ganz banal: „Die Vater-Mutter-Kind-Familie ist noch immer eine Selbstverständlichkeit“, stöhnt etwa Mechthild Schuchert. „Die Kirche muss zusehen, dass sie sich in vielen Lebensbereichen nicht noch weiter vom Alltag ihrer Mitglieder entfernt.“

In Berlin und Brandenburg befinden sich die Katholiken ohnehin in der Diaspora: Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt in Berlin bei rund 9 Prozent, in Brandenburg nur noch bei knapp 3 Prozent. Und jährlich muss das Bistum mehrere tausend Kirchenaustritte verkraften.

Als Vorsitzende der Frauenkommission will Schuchert sich dafür einsetzen, dass Frauen in den Gremien des Bistums besser vertreten sind. Damit verbunden ist auch die Frage nach dem Priesteramt. „Wir Frauen stecken in einem Dilemma. Denn auf absehbare Zeit werden wir an dieser Stelle nichts bewegen.“ Doch es geht Schuchert nicht nur um die Quote. „Ich will eine dialogische Kirche.“ Auf Anregung der Frauenkommission soll es künftig Gendertraining für Pastoren geben. „Natürlich werden da nicht alle dran teilnehmen, aber es wird Neugier geweckt“, hofft Schuchert.