Wenn die Universität wieder Spaß macht

30 Hochschulen öffnen diesen Sommer ihre Hörsäle für Kinder – ohne Mami und Papi, dafür mit Junior-Studentenausweis. Die Kinderstudis schnippen mit den Fingern und sind sehr, sehr neugierig. Gestandene Hochschullehrer werden nervös. Sie bereiten ihre Vorlesungen mit den eigenen Kindern vor

„Studenten sitzen lieber hinten.Kinder aber kleben einem an den Lippen“

aus Bonn NICOLE MASCHLER

Die vorderste Reihe ist als erste belegt. Um 17 Uhr c. t. soll die Vorlesung anfangen, das „cum tempore“ ist in der Ankündigung als „mit Verspätung“ übersetzt. Wer sich einen Sitz am Rednerpult sichern will, muss allerdings pünktlich sein. „Timo, hier!“, schallt es von unten herauf. Ein kurzer Sprint, ein kleiner Schubs, geschafft. Timo – blond, drahtig, in roten Shorts und blauem T-Shirt – blickt triumphierend über die Bänke hinweg.

600 Studenten passen in das Audimax der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität. Der Mann mit dem Mikro kann sich nur mühsam Gehör verschaffen. „In der Schule erklärt der Lehrer Sachen. Die ganz, ganz tollen Lehrer heißen an der Uni Professoren. Und das ist der Herr Clausen.“ Der Professor, im hellblauen Kurzarmhemd, lächelt freundlich. Herr Clausen ist Informatiker. Er soll erklären, wie ein Computer Lieder erkennen kann. Zunächst sind die Kinderstudenten gefragt. „Wer von euch hat denn schon mal vor einem Computer gesessen?“ Zweihundert Finger schnellen hoch. Willkommen in der Kinderuni.

Der Start ins Studentenleben beginnt mit einem Quiz. Die Kids sollen Melodien erraten. Der Song vom „Tigerenten-Club“ ist dabei und „Biene Maja“ – leichtes Spiel für die Juniorstudis. „Und warum wisst ihr das so schnell?“, will der Professor wissen. „Weil wir die Lieder kennen“, erschallt die Antwort im Chor. Ganz ähnlich sei das mit dem Computer. Der schaue unter allen abgespeicherten Melodien nach, sagt Herr Clausen, die Stimme gesenkt wie ein Märchenerzähler.

Nicht viele Vorgaben hatte die Hochschulleitung ihren Dozenten mit auf den Weg gegeben. Nur das sollte die Vorlesung sein: kindgerecht und spannend, kein wissenschaftlicher Salat, sondern was zum Mitmachen. Die Kinder sollen ins Mikrofon pfeifen, damit alle sehen können, wie das mit dem Rechner und der Musik funktioniert. Das lässt sich das Plenum nicht zweimal sagen und trällert, was das Zeug hält. Professor Clausen hat alle Mühe, den Eifer zu bremsen.

Anhand von Wellenmustern, mit denen der Professor die Töne auf einer Leinwand sichtbar macht, können weder der Computer noch die Kinder das Lied erkennen. Und noch ein Problem gibt es, sagt Herr Clausen. Die Zuhörer halten jetzt den Atem an. Was, wenn zum Beispiel die kleine Anna mit einer Piepsstimme pfeift, der viel ältere Bastian dagegen ins Mikro brummt? Und was, wenn beide das Lied falsch pfeifen? Wie soll der Rechner dann wissen, dass es sich um „Alle meine Entchen“ handelt?

Mehr noch: Über eine Million Melodien gibt es. Bis der Rechner da das richtige Lied gefunden habe, das könne dauern. „Stellt euch vor, wir sind ganz fleißig und hören uns an einem Tag 100 Melodien an. Dann wären wir immer noch mehr als 27 Jahre beschäftigt. Und so lange möchten wir ja nicht warten.“ Was also ist zu tun? „Nicht so viele Melodien eingeben“, ruft einer. „Ein paar Melodien löschen“, schlägt ein Mädchen vor.

„Wir müssen das Ganze einfach besser organisieren und abspeichern“, löst der Professor das Rätsel, „wie bei einem Telefonbuch.“ Die Antwort scheint die Hörer nicht zufrieden zu stellen. Die Kinder beginnen zu murmeln. Da gerät selbst ein geübter Redner ins Schwitzen. Clausen hebt die Stimme, spricht schneller. Schließlich will er seinen Zuhörern noch erklären, wozu sie das Gelernte überhaupt brauchen. „Oft stellt man fest, dass ein Problem, an dem man geforscht hat, mit vielen anderen Dingen zusammenhängt.“ Das ist doch zu abstrakt, die Unruhe wächst. Vom Forschen hat zumindest Katrin vorerst genug. Mit finsterer Miene läuft sie ihrem Vater entgegen, der mit dem kleinen Bruder von der Toilette kommt. „Papa, wo warst du denn? Mir ist so langweilig.“ Da hilft nur noch ein Ratespiel: Kinder gegen Computer. Wer die Titel der abgespulten Hits nennen kann, hat gewonnen. Schon nach wenigen Sekunden meldet der Rechner: Lied erkannt. „Das muss auch fair sein, es sind Acht- bis Zwölfjährige“, mischt sich eine Mutter ein. Das nächste Stück ist von t.A.T.u., „All the Things She Said“, das kennen die meisten. Die Vorlesung ist gerettet. Am Ende gewinnen die Kids mit drei zu eins.

Punkte gemacht hat auch der Professor, zumindest bei Fabian (12). Er ist zusammen mit seinen zehn und acht Jahre alten Brüdern in die Uni gekommen, weil ihn „Computer und Musik interessieren“. Schwierig? Nein, sagt Fabian und lacht. Jedes der Kinder besitze einen eigenen Rechner, erzählt die Mutter, eine Professorin für Sozialpädagogik, die das Projekt Kinderuni für eine gute Sache hält. Die Jungs haben sich schon weitere Termine angekreuzt: „Wie kann man Dinos zum Leben erwecken?“ und „Gibt es auf dem Mars Aliens?“. Acht weitere Vorlesungen hat die Uni Bonn bis Ende Juli angesetzt, eine Fortsetzung für den Herbst geplant. Dann soll der lustige Studentenausweis mit dem kleinen grünen Männchen auch für die Mensa gelten.

Für ein zweites Kindersemester ist auch der Professor. Zwei Wochen lang hat sich Michael Clausen auf die Vorlesung vorbereitet. Die Kleinen neugierig machen auf Uni und Wissenschaft, das sei sein Ziel gewesen, und es habe funktioniert, glaubt der Informatiker. Sein Beleg: „Die Studenten setzen sich in Vorlesungen lieber nach hinten. Die Kinder aber klebten mir förmlich an den Lippen.“

Clausen hatte kritische Testhörer: seine beiden Töchter (15 und 17), die schließlich grünes Licht gaben. Nicht alle Kollegen kamen so gut an. Ein Dozent sagte seine Teilnahme an der Kinderuni kurzfristig ab. Auch er hatte seinen Stoff zu Hause vorgetragen. Votum: negativ.

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