Forschungen am Weltganzen

Dollarnoten kreisen, Förderbänder rattern, Zahnräder greifen ineinander – und sexuelle Freiheit gibt es auch. Ein Filmprogramm im Kino Arsenal fragt noch bis Juni nach den Wechselwirkungen von Bauhaus und Filmkunst

Das aus der Novemberrevolution von 1918 und dem „Arbeitsrat für die Kunst“ entstandene Bauhaus ist in seiner politischen und ästhetischen Heterogenität schwerer zu fassen, als es der Mythos glauben machen möchte. Die Technokraten mit ihrem „Kult der nackten Vernunft“, wie Ilya Ehrenburg 1928 in der Frankfurter Zeitung schrieb, und die Verfechter einer sozialen Ethik, die ästhetische Produkte für alle forderten: Lässt sich das so einfach auseinanderdividieren?

Dazu kommt eine weitere Schwierigkeit. Die landläufige Vorstellung von der Moderne als einem Prinzip der Entwicklung zum Guten, Wahren, Sauberen, Praktischen windet sich durch die Bauhaus-Rezeption. Nur gelegentlich wird sie unterbrochen, etwa von dem polemischem Pamphlet Tom Wolfes, „Mit dem Bauhaus leben“, aus dem Jahr 1981. Doch schon seit einiger Zeit stellt sich die Frage, ob es nicht angemessener wäre, von einer Vielzahl von Modernen zu sprechen. Und über Modernisierung als koloniales Werkzeug zu sprechen, angetreten mit dem Ziel der Zivilisierung von etwas angeblich Rückständigen. Woraus wiederum nicht unbedingt Modernität entsteht.

Im „Bierdorf“ Weimar, in dem das Bauhaus seit 1919 wie ein angefeindetes elitäres UFO am kosmologischen Weltganzen forschte, war man eher skeptisch – zumal, als das von Walter Gropius entworfene abstrakte Denkmal für die beim rechtskonservativen Kapp-Putsch Gefallenen errichtet wurde. Eine Babywiege aus Kreis, Quadrat und Dreieck von Peter Keler brachte die Gemüter ebenfalls zum Brodeln: „Ausdruck des verwahrlosten Empfindens und Niederschlag der destruktiven Lehr- und Erziehungsmethoden des Bauhauses“, war in der Presse zu lesen.

Die Anfeindungen in Weimar wurden immer stärker, und so war es ein Coup, sich selbst als geschlossen zu erklären. Das beste Angebot für ein neues Domizil kam aus Dessau. Der dortige Bürgermeister machte Geld locker für das Hauptgebäude und sieben Professorenhäuser. Gleichzeitig war die Gegend ein prosperierendes Industrierevier und bot Möglichkeiten ökonomischer Allianzen. In einem Film von 1998 von Kerstin Stutterheim und Niels Bolbrinker kommen ehemalige BauhäuslerInnen zu Wort, unter ihnen viele Frauen, die wie die Weberin Etel Fodor-Mittag später als Fotografinnen oder Designerinnen arbeiteten. An diesem „verrückten Institut war aber auch eine sexuelle Freiheit“, sagt die 90-Jährige.

Für eine mehrmonatige Filmreihe im Kino Arsenal in Berlin und im kommunalen Kino Metropolis in Hamburg wurde tief in den großen Topf der 20er-Jahre-Avantgarde gegriffen. Eine vom Bauhaus geprägte Filmkultur dürfe man allerdings nicht erwarten, auch wenn László Moholy-Nagy den Plan hatte, eine „Versuchsstelle für Filmkunst“ einzurichten. Seine Filme sind in ihrer Spannung von Abstraktion und Repräsentation denn auch besonders aufschlussreich – wie zum Beispiel die Arbeit „Großstadt Zigeuner“ (1932/33), die geradezu haptisch ins Geschehen eintaucht, was sie zu einem mit hochgradig beweglicher Kamera gedrehten Großstadtfilm macht.

Es hat durchaus Sinn, Filme wie „La marche des machines“ von Eugene Deslaw (1928) und Hans Richters „Inflation“ zusammen zu sehen: hier ein maschineller Marsch durch Förderbänder, Zahnräder und Panzerketten, ein Mechanisierungsfuror, in dem es um Rhythmus und Funktionen geht; dort der Versuch, abstrakte monetäre Verhältnisse samt ihren Auswirkungen in Szene zu setzen: Geldscheinüberblendungen, kreisende Dollarnoten, die Massen horizontal vorbeiziehend, ein feister Kapitalist mit Zigarre als vertikaler Schachtelteufel, die Verwandlung eines bürgerlichen Zeitungslesers in einen Bettler.

Ella Bergmann-Michels Dokumente vom neuen Bauen, von Selbstorganisationen – wie der Film „Erwerbslose kochen für Erwerbslose“ (1932) – und die Fragmente ihres Films vom letzten Wahlkampf 1932, bei dessen Dreh sie verhaftet wurde, zeugen von den weiten Kreisen, deren Mittelpunkt nicht immer das Bauhaus war. Im Frühherbst 1932 beschloss der Gemeinderat von Dessau, das Bauhaus zu schließen, und bald schon zog die nationalsozialistische Landfrauenarbeitsschule in die Gebäude ein.

MADELEINE BERNSTORFF

Heute um 21 Uhr: „Hommage an die Ausstellung Film und Foto – Moderne des Films I“; Gesamtprogramm unter www.arsenal-berlin.de