Wege zu europäischen Champions

Frankreich und Deutschland wollen ihre Industriepolitik stärker aufeinander abstimmen. Chirac sieht in deutscher Kritik einen „Anfang von Wahrheit“. Eine gemeinsame Initiative zum Steuerdumping ist wahrscheinlich, die Umsetzung aber fraglich

AUS PARIS UND BRÜSSEL D. HAHN
UND D. WEINGÄRTNER

Frankreich und Deutschland wollen ihre Industriepolitik zukünftig stärker aufeinander abstimmen. Noch vor Ende Mai wird Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac seinen Premierminister Jean-Pierre Raffarin sowie Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy zu Gesprächen nach Berlin schicken. Die beiden sollen die durch die Übernahme von Aventis durch Sanofi entstandenen Wogen glätten und mit ihren deutschen Partnern über den „besten politischen Rahmen“ für künftige industrielle Zusammenarbeit sowie die Herausbildung „europäischer industrieller Champions“ sprechen. Das kündigte Chirac nach der dritten gemeinsamen deutsch-französischen Kabinettssitzung der Geschichte in Paris an.

Nachdem die Einmischung der französischen Regierung in die Fusion von Sanofi und Aventis in Berlin heftig kritisiert worden war, gab Chirac gestern zu, diese Kritik enthalte „sicher einen Anfang von Wahrheit“. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hörte mit amüsiertem Grinsen zu.

Vor der Sitzung hatten verschiedene Medien berichtet, die Minister wollten eine deutsch-französische Initiative für eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern in der EU lancieren. Damit wollten die beiden Länder, die relativ hohe Steuern erheben, gegen eine Konkurrenz der Niedrigsteuerländer in der EU angehen. Aus Berliner Regierungskreisen war verlautet, Berlin und Paris wollten einen EU-weiten Mindeststeuersatz vorschlagen. Nach der Sitzung sagte der französische Außenminister Michel Barnier der taz, eine gemeinsame deutsch-französische Initiative sei „wahrscheinlich“. Einen Termin dafür gebe es jedoch noch nicht.

Die Diskussion flammt in der EU immer dann wieder auf, wenn Steuerunterschiede zu Standortnachteilen führen. Frankreich und Deutschland sind durch so genanntes Unternehmenssteuer-Dumping in den neuen EU-Ländern gleichermaßen betroffen. Während in Deutschland derzeit der Mindestsatz bei 39 Prozent liegt, beträgt er in Polen und der Slowakei nur 19 Prozent.

Die Wurzel des Problems liegt darin, dass zwar für den Binnenmarkt einheitliche Wettbewerbs- und Kartellregeln gelten, die nationale Steuerhoheit aber nicht angetastet wurde. Da auch Steuersätze ein Standort- und Wettbewerbsfaktor sind, sind Konflikte programmiert. Seit Jahren drängen einige Mitgliedstaaten auf einheitliche Mindestsätze in der Energie- und Unternehmensbesteuerung. Da der Rat aber einen einstimmigen Beschluss fassen muss, ist bislang keine derartige Vereinbarung zustande gekommen. Lediglich bei der Zinsbesteuerung einigten sich die Mitgliedstaaten nach jahrelangen Debatten auf einen Mindestsatz. Ein Abkommen mit der Schweiz, das ein weiteres Steuerflucht-Schlupfloch schließen würde, steht aber noch aus.

Solange es dabei bleibt, dass jedes der 25 EU-Mitglieder einheitliche Steuersätze mitbeschließen muss, hat der deutsch-französische Vorstoß keine Chance. Auch ein engeres Zusammengehen einiger Länder würde nichts nützen, da das Steuergefälle nach außen erhalten bliebe. Im Verfassungsentwurf, der derzeit von der Regierungskonferenz beraten wird, ist für Steuerfragen qualifizierte Mehrheit vorgesehen. Dass dieser vernünftige und in der Logik des Binnenmarkts liegende Vorschlag durchkommt, glaubt inzwischen aber niemand mehr. Großbritannien hat bereits sein Veto dagegen angekündigt. Ein einziges Nein genügt, um den Plan zu stoppen, da die Verfassung von allen 25 Mitgliedstaaten akzeptiert werden muss.