Eine launische Diva

Sie ist schön und köstlich. Sie dient Liebenden und Gourmets. Und sie verwirrt. Die Rose, Königin unter den Blumen, ist auch in der Natur unberechenbar

von TILL DAVID EHRLICH

Die stolze Rose: Ihr Duft lockt, ihre Dornen stechen. Rosen sind Verführer, Sinnbilder von Anmut und gefährlicher Schönheit. Wer einmal ihrem betörenden Duft erlegen ist, vergisst das nicht so schnell. Kein Wunder, dass ehrgeizige Köche versuchen, ihre Kreationen mit dem Glanz der Blume zu schmücken. Doch die Rose ist exzentrisch – und erfordert in der Küche eine geschmackliche Gratwanderung, Können und Fingerspitzengefühl.

Zu den wenigen Profiköchen, die virtuos und angstfrei mit der Rose umgehen, gehört Carsten Rosener, Chefkoch im Gourmet-Restaurant „Epoque“ in Berlin-Charlottenburg. Auf die Idee, mit dem Nektar der Rose zu köcheln, ist er durch seinen Namen gekommen. Wenn der 32-jährige Speisen mit Rosenaromen zubereitet, hält er den Atem an. Vorsichtig benetzt er den Finger mit echtem bulgarischem Rosenöl. Schon ein dicker Tropfen wäre zu viel, würde alles verderben. Ganz zart streicht der Koch den Hauch über einen vorgewärmten Teller, dann legt er goldgelb gebratenes Filet vom wilden Loup de Mer darauf. Sofort erfüllt Rosenduft die Küche; verbindet sich ätherischer Blütenzauber mit der Kraft des Mittelmeerfisches.

Der Kontrast von Fischgeschmack und Rose wird glücklich verschmolzen, dennoch – der Chefkoch hat großen Respekt vor den delikaten Launen der Rose. Denn die Diva kann ein Gericht nicht nur verzaubern, sie kann es auch blitzschnell verderben. Die Königin der Blumen verzeiht keinen Fehler, ist unberechenbar. „Widerlich und penetrant“, sagt Carsten Rosener, „schmeckt Rosenöl, wenn es überdosiert oder erhitzt wird.“ Doch er nimmt das Risiko in Kauf. Denn wenn die Dosierung stimmt, verwandelt der Rosenhauch ein Gericht in eine duftende Köstlichkeit. Und in eine teure – echtes Rosenöl hat sündhafte Preise (1 Milliliter kostet etwa 40 Euro) – künstliches ist billiger, zum Kochen jedoch ungeeignet.

Was hierzulande wie ein schriller Küchentrend anmutet, ist im Orient uralter Brauch. Dort verleiht die Rose vielen Speisen Flügel. Ihr Genuss soll Kummer und Depressionen lindern, zudem die Sinnlichkeit steigern. Schließlich gilt die Rose seit dem Altertum als Aphrodisiakum. Besonders beliebt sind im Morgenland Süßigkeiten, die mit Rosenöl oder Rosenwasser aromatisiert wurden, türkischer Honig etwa oder Pistaziengebäck. Auch Rosenkonfitüre ist populär – ob als Brotaufstrich oder als Füllung von süßem Gebäck und herzhaften Fleischgerichten. Die intensive Dosierung ist unserem Geschmack oft befremdlich.

Trotzdem, die Rose hat auch bei uns kulinarische Tradition, allerdings nur in homöopathischen Mengen, zum Beispiel in handwerklich gefertigtem Marzipan und in Pralinen. Diese Kunst beherrscht Eberhard Päller, ein anderer Meister seines Fachs. Pällers handgemachte Trüffelpralinen sind Legende. Seit vierundreißig Jahren perfektioniert der 62-Jährige die Kunst des Pralinenmachens. Mehr als achtzig verschiedene Trüffelpralinen zählt inzwischen sein Sortiment. Die Füllungen entwickelt und fertigt Päller allesamt selbst. Mit viel Muße: Bis zu drei Tage simmern auf seinem Herd die süßen Mischungen auf kleinster Flamme. So werden sie haltbar, Konservierungsstoffe sind überflüssig.

Aber nicht nur Trüffelklassiker bietet Päller an. Jeder noch so extravagante Geschmack wird bedient. Da gibt es Pfeffer-, Safran-, Rote-Bete- sowie Meerrettichtrüffel. Zu Pällers Kreationen zählt ein grandioser Rosenwassertrüffel (100 Gramm kosten 6,50 Euro) – halb mit Marzipan, halb mit schokoladig sahniger Trüffelcreme gefüllt. Das Raffinierte daran: Die Rose ist nur ein leiser Ton im Klang der Aromen. Der Trüffel schmilzt im Mund, macht süchtig.

„Confiserie Melanie“, heißt Pällers zweiunzwanzig Quadratmeter kleines Schokoladengeschäft in Berlin-Charlottenburg. Wer dort Schokolade kauft, fühlt sich ins Westberlin der Wirtschaftswunderzeit versetzt. Päller, gelernter Koch und Konditormeister aus dem sächsischen Zwickau, umgarnt wie ein Charmeur seine überwiegend weibliche Kundschaft. Mit würdevoll weißem Haar, sanfter Stimme und in gelbem Lacoste-Westover. Gerne plaudert der süße Sachse über Kunden, die bei ihm Rosentrüffel, -delice und -likör kaufen.

„Menschen, die Rosen mögen“, charmiert er, seien „sensible Naturen, zartfühlende Seelen, da steckt ein schönes Gefühl dahinter.“ Die Rose sei in der süßen Welt eine Rarität und auf der Zunge ein nicht alltäglicher Kick.

Für seine Naschereien verwendet Päller am liebsten bulgarisches Rosenwasser, aus Rosenöl gewonnen. Bulgarisches Rosenöl ist eine Kategorie für sich, gilt weltweit als das beste und kostbarste unter den Rosenölen. Gegenüber dem günstigeren türkischen Rosenöl ist es voller und vielschichtiger. Seine rosige Süße wirkt nie aufdringlich, sondern tief und atemberaubend. Was ist das Geheimnis? Es ist das einzigartige Mikroklima, das im „Tal der Rosen“, hundertsechzig Kilometer östlich von Sofia, herrscht. Das dreißig Kilometer lange duftende Tal liegt im Windschatten des Balkangebirges. Rosarot leuchtet der Teppich aus Millionen und Abermillionen Rosenblüten, ein gigantischer Garten Eden.

Rundum geschützt von den Ausläufern der Berge, findet eine besonders delikate Rose hier ideale Wachstumsbedingungen. Seit zwei Jahrhunderten ist sie unumschränkte Herrscherin.

Es ist die Damascenarose, die Königin unter den Duftrosen, die hier angebaut wird. Sie liefert das edelste Öl. Es wird kalt aus den gerade sich öffnenden Blüten gepresst. Erntezeit ist in der Morgendämmerung, zwei Stunden lang, wenn der Tau auf den Blüten abgetrocknet und es noch nicht zu heiß ist. Denn Hitze schadet dem ätherischen Öl.

Beste bulgarische Qualitäten sind Raritäten, sie zählen zu den kostbarsten Düften überhaupt und werden mit Gold aufgewogen. Für einen Liter reines Rosenöl pressen die Hersteller bis zu siebentausend Kilogramm Rosenblütenblätter.

Ehrgeizige Köche sind ruhelose Naturen, kombinieren das Bekannte mit dem Unbekannten. Etwa Spargelsuppe mit Rosenöl oder Zander mit Rosenblättersalat – so wie Carsten Rosener. Aber auch Wiesenkräuter lassen sich gut mit Rosenblütenvinaigrette marinieren. Die Wildkräuter lässt sich Rosener vom mecklenburgischen Händler „Essbare Landschaften“ liefern, die Rosenblüten erntet er im Garten.

Teuer und ausgesprochen köstlich: Bei diesen zarten Speisen besteht der Reiz im sanft-bitteren Geschmack. Eine Regel der Rosenküche ist, dass Produkte mit starkem Eigengeschmack kombiniert werden. Das trifft auch auf Roseners Rosenblütenpaste zu: Er mixt rosarote Rosenblütenblätter mit Olivenöl und guter Butter zu pinkfarbenem Pesto auf. Dazu reicht er gebratenes Lammfilet oder Geflügelleber.

Aber auch Rosendesserts sind fulminante Kreationen. Rosensorbet etwa oder Rosentiramisu. Hierbei werden die Löffelbiskuits nicht mit Espresso beträufelt, sondern mit einer Mixtur aus Grand Marnier und einem Tropfen Rosenöl. Sie können sich sehen lassen, die Variationen der stolzen Rose. Aber bis die geschmackliche Feinabstimmung gelungen ist, muss ein Koch schon etwas tüfteln. Für einige Gourmets ist es der letzte Kick. Für andere ist die Rose nur eine Küchenmode. Die launische Diva scheidet die Geschmäcker.

TILL DAVID EHRLICH, 38, ist freier Journalist und Degustator in Berlin. Er schreibt über kulturelle Themen, am liebsten über Wein und Genuss