In Abschrift ‘ne glatte Eins

Nach all dem Ärger über ihren fantasiebegabten Reporter Jayson Blair schreibt endlich mal jemand aus der „New York Times“ ab. Es ist der Washington-Korrespondent des Berliner „Tagesspiegels“

von FRANK STIER

Vor wenigen Wochen waren sich alle wieder einmal einig: Sämtliche Tageszeitungen von Rang berichteten ausführlich von der Geschichte des jungen New York Times-Reporters, der gefeuert wurde, weil er einen Großteil seiner Texte entweder erfunden oder abgeschrieben hatte. Auch der Tagesspiegel beteiligte sich an der Debatte um journalistisches Ethos und lobte schließlich die NYT für ihren harten Kurs, der einige Köpfe rollen ließ.

Um so mehr erstaunte jetzt ein Text in der Donnerstagsausgabe des Berliner Blattes mit überregionalem Anspruch: Auf seiner vermischten Seite, dem Weltspiegel, druckte der Tagesspiegel unter dem Titel „Mannomann“ einen Artikel seines Washington-Korrespondenten Malte Lehming zum Phänomen der so genannten Metrosexuellen. Und der ist nichts weiter als eine mehr oder minder korrekte Übertragung – aus der New York Times.

Dort war am 22.06.2003 in der Fashion-&-Style-Abteilung der Sonntagausgabe ein Stück von Warren St. John erschienen:„Metrosexuals Come Out“ (siehe Kasten). In seinem Artikel stellt uns Lehming den dreißig Jahre alten Anlageberater Karru Martinson vor, der so gar nicht nach Macho aussieht, teure Gesichtscreme benutzt, Schuhe von Bruno Magli trägt, seine tiptopen Haare mit verschiedenen Shampoos und Spezialkuren wäscht, gerne shoppen geht und sich mit seinen Freunden in Weinbars trifft. „Wer ihn kennen lernt“, belehrt uns Lehming, „denkt oft, Martinson sei schwul.“ Doch das, so Lehming, stimme nicht, viel mehr sei er ein Exemplar der Metrosexuellen.

Was um Himmels Willen interessieren uns die Gewohnheiten von Karru Martinson und all der anderen Metrosexuellen wie David Beckham, könnte der Leser nun denken und den Weltspiegel seinem vorbestimmten Ruhesitz im Altpapier zuführen. Doch darum geht es nicht. Sondern um die Tatsache, daß sich Malte Lehming des eindeutigen Plagiats schuldig macht: Es können alle sachlichen Aussagen, schmückenden Details und persönlichen Zitate im Tagesspiegel auf den vier Tage früher erschienenen Beitrag von St. John in der NYT zurückgeführt werden. Was Lehming als eigenes Werk vorgibt, ist nichts anderes als Übersetzung – mal wörtlich, mal zusammenfassend. Aus dem Original „So it was with a mixture of relief and mild embarrassment that Mr. Martinson was recently asked by a friend in marketing to be a part of a focus group of ‚metrosexuals‘ – straight urban men willing, even eager, to embrace their feminine sides“ wird in Lehmings Version: „Vor kurzem war Martinson von einem Freund angesprochen worden. Ob er bereit sei, an einer Marktanalyse teilzunehmen. [...] In langen Gesprächen wurden die Konsumgewohnheiten einer neuen Klasse von Männern erforscht – den Metrosexuellen. So jedenfalls werden sie genannt. Metrosexuelle sind heterosexuell, meist jung (zwischen 25 und 45), sie leben in Städten und leben offen ihre femininen Seiten aus.“

„Diese Gruppe hat einen ungewöhnlichen Sinn für Ästhetik“, zitiert Lehming den „Strategie-Manager der Euro RSCG, Marian Salzman“. Die Werbefirma führt die Studie durch, und Lehming schreibt das so, als hätte er mit Salzman gesprochen. Doch dies kann nicht sein, sonst wüsste er, dass sich hinter Marian Salzman eine Strategie-Managerin verbirgt. Lehming hat diese Gewährsperson ebenso wie Karru Martinson aus dem NYT-Artikel einfach – und in diesem Falle auch noch falsch – abgeschrieben.

Nun ist es im journalistischen Tagesgeschäft nichts Ungewöhnliches, interessante Inhalte anderer Medien zu übernehmen. Üblicherweise werden solche Quellen dann aber auch in korrekter Weise benannt und zitiert. Lehming täuscht dem Leser aber vielmehr vor, selbst mit Martinson und Salzman gesprochen und auf diese Weise das Phänomen Metrosexualität recherchiert zu haben. Auf die NYT verweist er lediglich an einer Stelle, wie auf ein Medium unter anderen, das über den Trend Metrosexualität berichtet habe: „Amerika entdeckt das ‚metrosexuelle Moment‘, schreibt die New York Times. Im Juli startet der Fernsehsender ‚Bravo‘ eine neue Serie mit dem Titel ‚Queer Eye for the Straight Guy‘.“ Als journalistische Quellenkennzeichnung für Lehmings Ausführungen kann diese schmale Erwähnung der NYT aber keinesfalls genügen.

Nicht einmal für die in den Medien omnipräsente Story von David Beckham findet Lehming eigene Worte. Aus: „In 2001, Britain’s Channel Four brought out a show about sensitive guys called ‚Metrosexuality‘. And in recent years the European media found a metrosexual icon in David Beckham, the English soccer star, who paints his fingernails, braids his hair and poses for gay magazines, all while maintaining a manly profile on the pitch“ wird: „Vor zwei Jahren dann strahlte in Großbritannien der TV-Sender ,Channel Four‘ eine Show mit dem Titel ‚Metrosexuality‘ aus, in der es um sensible, heterosexuelle Männer ging. Als Inbegriff des Metrosexuellen galt dort schnell der Fußballstar David Beckham, der seine Fingernägel anmalt, für schwule Magazine posiert und trotzdem auf klassisch heterosexuelle Weise männlich wirkt.“

Lehmings Chuzpe, nur wenige Wochen nach der aufsehenerregenden Plagiatsaffäre bei der New York Times, verblüfft. Vor diesem Hintergrund bekommt auch seine Berichterstattung zum so genannten „Krieg gegen den Terror“ seit dem 11. September 2001 eine neue kreative Dimension. Hatte man sich bisher gefragt, warum der Tagesspiegel einen Amerika-Korrespondenten beschäftigt, dessen Berichte und Kommentare zur Außenpolitik der Bush-Administration derart affirmativ und unkritisch sind, dass sie auch von Pressereferenten des Pentagon stammen könnten, so stellt sich nun die darüber hinausgehende Frage: Woher hatte Lehming seine Informationen?