John Kerry, Bushs Verbündeter

US-Präsidentschaftskandidat Kerry überlässt den Republikanern das Terrain, vermeidet klare Aussagen und ignoriert seine Partei. Noch könnte er seine Fehler beheben

Bushs Lage wird immer schwieriger, aber Kerry gewinnt keine Stimmen hinzuStatt in der Tradition der Demokraten Sozialprogramme zu fordern, ist Kerrygegen UmverteilungBush beginnt mit dem Rückzug aus dem Irak? Kerry wird Verstärkung fordern

Die US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampagne Mitte Mai widersetzt sich den Gesetzmäßigkeiten politischer Gewichtigkeit. Bushs Anteile sinken, doch die seines Gegners, Senator John Kerry, steigen nicht an. Bush behält im Rennen um den Stimmenanteil die Nase leicht vorn, noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass auch Ralph Nader kandidiert, wahrlich, ein demokratischer Dissident. Die Zahlen schwanken, doch lässt sich sagen, dass Bush 49 Prozent der Wählerschaft auf seiner Seite hat, Kerry 43 und Nader 5. Diese Letzteren, bis November gehalten, wären ein wesentlicher Beitrag zu Bushs Wiederwahl. Was für Nader spricht, ist der deutliche Mangel an Kerrys Überzeugungskraft.

Zwei Beispiele mögen genügen. Kerrys älterer Kollege im Senat von Massachusetts, Ted Kennedy, erklärte, dass Bushs Behauptung, die Folterkammern Saddam Husseins beseitigt zu haben, falsch gewesen sei: Er habe sie allenfalls unter das amerikanische Management gestellt. Kerry beeilte sich anzumerken, dass er nicht in diesen Kategorien denken würde, und zollte der „Ehre und Integrität“ der amerikanischen Streitkräfte im Irak gewohnheitsmäßig Tribut. Und gegenüber dem „Democratic Leadership Council“, einer Gruppe marktorientierter Demokraten, sagte Kerry: „Ich bin kein Umverteiler.“ Seine Ablehnung des sozialdemokratischen Vermächtnisses seiner Partei widersprach dem eigenen Wahlprogramm. Und seine dummen Kampagnenberater haben sich auf eine Tagesordnung eingelassen, nach der die politische Debatte zu Bushs Bedingungen geführt wird.

Laut Meinungsumfragen hat Bush keine Mehrheiten in Schlüsselbereichen wie der Führung im Krieg und der Gestaltung der Wirtschaftspolitik. Das Weiße Haus reagierte darauf, indem sie eine Diffamierungskampagne gegen die Kriegsgegner einleitete und sie als unpatriotisch hinstellte – die Kritiker würden das Militär schmähen, indem sie das Folterthema aufbrächten. Sie werden außerdem als „schwach“ abgestempelt – eine bewährte psychosexuelle Metapher, die auf Kerry abzielt. Die Republikaner versuchen, die Aufmerksamkeit vom Krieg und von den negativen Auswirkungen der Globalisierung auf den amerikanischen Arbeitsmarkt abzulenken, indem sie sich auf ein welthistorisches Thema konzentrieren: die gleichgeschlechtliche Ehe.

Kerry wird als Ostküsten-Liberaler bezeichnet – doch der konterte nicht mal damit, dass der letzte aus Massachusetts kommende liberale Präsident John F. Kennedy war, der seine Arbeit, wie sich die ältere Generation erinnert, gar nicht so schlecht machte. Bushs wohlhabende Verbündete aus der amerikanischen Wirtschaft werden ihm zwei- bis dreimal so viel Geld zur Verfügung stellen, als sich die Demokraten erhoffen dürfen. Und die protestantischen Fundamentalisten werden ihm eine Armee von Fußsoldaten geben, deren Bild eines christlichen Amerika sie von einer Gruppe säkularer Feinde bedroht sehen, die sich in der Demokratischen Partei vereinigt haben.

Kerry indes scheint den Rückhalt seiner Partei als selbstverständlich zu erachten und Stimmen in der Mitte der Wählerschaft zu suchen – eine fiktive Konstruktion. Wie Bush weiß, besteht die erste Aufgabe eines Kandidaten darin, die eigene Basis zu mobilisieren, zumal dort, wo die Wahlbeteiligung voraussichtlich nicht einmal die 50 Prozent aus den Vorjahren überschreiten wird. Kerrys diffuse Wirtschaftspolitik betont die Ausgeglichenheit des Bundeshaushalts und nicht die Sozialausgaben. Seine Programme für Bildung, Gesundheitswesen, Minderheiten- und Frauenrechte sind nur ganz vorsichtig auf Ausbau angelegt. Es fehlt ihm an innenpolitischem Profil; dennoch geht Kerry auf den Vorwurf der Republikaner ein, er sei schwach – und damit hat er die Debatte genau da, wo die Republikaner sie haben wollen: als simple Entscheidung über Personen.

Außenpolitisch, also im Hinblick auf den Irakkrieg, hat Kerry den Vorteil vergeudet, den er anfangs so sehr genoss und den er als Vietnam-Veteran gegenüber dem Präsidenten hatte – gegen einen Bush, der es vermied, in der Armee zu dienen, und nun den tapferen Kämpfer vorgibt. Kerry hat im Senat für den Krieg gestimmt, doch in dem Moment, wo Republikaner, Konservative und Generäle beginnen, dies als Fehler einzuräumen, ist alles, was er antwortete – und das auch noch zögerlich –, dass er schlecht geführt wird.

Kerrys Zögern liegt auch am Einfluss der Israel-Lobby auf die Demokratische Partei. Das gilt nicht nur für die jüdischen Stimmen in Los Angeles und New York, sondern auch für die Wahlkampfspenden, die zu mindestens einem Drittel von Juden kommen. Die Israel-Lobby unterstützt den Krieg und hat Kerry dazu bewogen, Scharons Unilateralismus zu billigen. Zu viel unnötige Diskussion über Amerikas Folterungen könnte zwangsläufig zu der Frage nach der Behandlung der Palästinenser in Israel führen. Kerry fürchtet sich so sehr davor, als unpatriotisch abgestempelt zu werden, dass er den französischen Medien nicht einmal Interviews in seinem fließenden Französisch gibt. Er kritisiert die Entscheidung des neuen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, seine Truppen aus dem Irak abzuziehen. Kerry hat kein kohärentes multilaterales, führungssicheres Projekt verlauten lassen – und noch weniger hat er sich dem amerikanischen Herrschaftsstreben verweigert.

Besteht Hoffnung, dass Kerry die Wahl tatsächlich gewinnen könnte? Der größere Teil der amerikanischen Wählerschaft konzentriert sich nicht vor Oktober wirklich auf die Wahl, die am 2. November stattfinden wird. Kerry hat also noch genügend Zeit für einen Wechsel von Strategie und Taktik. Mit steigenden Zinsen und in die Höhe schießenden Benzinpreisen bräuchte er eine sehr konkrete und expansive Wirtschaftspolitik.

Und in Bezug auf die Besetzung des Irak, der in das totale Chaos zu gleiten droht, müsste er eine klare Vorstellung davon geben, wie er die US-Truppen abzuziehen gedenkt. Aber es könnte sein, dass er im Sommer nach Truppenverstärkungen schreit, während Bush den Rückzug beginnt. Zurzeit ist er äußerst erfolgreich damit, diejenigen zu enttäuschen, die begonnen haben, Bush den Kampf anzusagen.

NORMAN BIRNBAUM

Deutsch von Ute Eggert/bz