Schwule Bauarbeiter uninteressant

betr.: „Mehr Euros werden fließen“ (Berlin profitiert vom Marktfaktor Christopher Street Day), taz vom 28. 6. 03

Vielen Dank für den hervorragenden Artikel. Die Zeiten eines politischen, schwulen Bewusstseins scheinen vorbei. Ich frage mich immer wieder, woran es liegt, dass in Schwulen eine zahlungskräftige Gruppe gesehen wird. Ich glaube, Schwule haben genauso unterschiedliche Einkommen wie Heteros auch, nur dass sie es leichter haben ab einem gewissen sozialen Setting, ihr Schwulsein auch offen auszuleben. Der schwule Bauarbeiter interessiert doch niemanden. Denn wir werden ja alle so toll akzeptiert, nein Entschuldigung, toleriert.

Für die Akzeptanz lassen sich ja dieses Jahr wieder unzählige Homos mit Nivea und Jakobspröbchen bewerfen. Akzeptiere mich, ich bin doch auch ein Konsument, genau wie du. Ich gehe schwer arbeiten und will genauso sein wie du. Das ist die schwule Selbstachtung im Jahr 2003. Und damit es nicht so offensichtlich ist, machen wir noch ein bisschen Freakshow, weil irgendwo war da doch noch was. Wollten wir nicht mal in unserem Anderssein akzeptiert werden?

Die Veranstalter reden sich fadenscheinig heraus. Durch klare Aussagen kann man schon eine Demonstration gestalten. Eine Demonstration halt. Aber die Großstadtschwulen dieser Republik haben den Blick für die Realität doch gänzlich verloren. Sie sitzen in ihrem Schöneberger Kiez oder auf der Langen Reihe in Hamburg und sagen, dass sie das ganze Geschrei nicht verstehen mit der Politik und so. Denn es hat sich doch so unheimlich viel getan. Den Schwulen geht es doch so viel besser. Kunststück an diesen Orten. Schwule sind halt auch nur Menschen, und so kann halt die Masse nicht über ihren Tellerrand hinausschauen. Was ist mit dem schwulen Bauarbeiter oder der Provinztunte, was ist mit steigenden Aids-Neuansteckungen und so weiter? Ein Großteil von ihnen ist doch aus der Provinz hierhergezogen, um freier leben zu können. Alles schon vergessen.

Bei all diesem ganzen Freiheitsgelaber mache ich mittlerweile gerne einen Vorschlag zur Güte. Geh mit deinem Freund doch mal Hand in Hand durch Lichtenberg. Da verstummen sie alle. Mach eine Radtour über die Dörfer im Osten dieses Landes. Ich gebe zu, dazu bin ich auch zu feige. Aber ich finde es wichtig, sich darüber bewusst zu sein.

Ich habe nichts gegen eine schwule Love Parade. Aber dann sollen sie bitte ehrlich sein. Das, was da heute als politische Demonstration stattfindet, ist ein Schlag ins Gesicht derer, die damals in der Christopher Street die Schnauze voll hatten und sich gewehrt haben. Und auch gegen die Berliner Pioniere. Es macht mich traurig und wütend. […] HARTMUT SCHREWE