Kleine Filme für die Ohren

Texte in einer eigenen Kunstsprache, Verweise auf Klassik und Folklore, Pop und Meditationsmusik: Die kanadische Cellistin und Sängerin Jorane in der Fabrik

Bei ihr fügen sich ruhig fließende, dann wieder effektreiche Cello-Linien mit mal expressivem, mal ätherischem Gesang zusammen. Die 26-jährige Künstlerin Jorane hat sich in ihrer Heimat Kanada einen exzellenten Ruf erworben und wurde mit dem Emmy dekoriert. In Europa gestaltete sie kürzlich das Vorprogramm von Noa – nun präsentiert die Cello-Songwriterin selbst als Hauptfigur einen Querschnitt durch ihr spannendes Repertoire auf hiesigen Bühnen – zwischen Pop, Klassik und grenzensprengender Klangmalerei.

taz hamburg: Mit 19 sind Sie recht spät zum Cello gekommen. Wie haben Sie Ihre musikalische Laufbahn begonnen?

Jorane: Ich habe schon mit sechs Jahren meine eigenen Geschichten und Melodien auf dem Klavier kreiert. Während meiner ganzen Kindheit hat mir dieses Instrument geholfen, mein Innerstes auszudrücken. Und nachdem ich während meiner Jugend eher das Mädchen mit der Folkgitarre war, habe ich auf dem Konservatorium das Cello entdeckt. Es war eine ungeheuer positive Schwingung, als ich das erste Mal ein Cello in der Hand hatte – und wie automatisch habe ich sofort angefangen, dazu zu singen. Ich wollte gar nicht warten, bis ich ein höheres Niveau erreiche. Selbst zu den leeren Seiten des Cellos, zu den allerersten Etüden habe ich parallel schon meine Stimme eingesetzt. Cello und Gesang sind also von klein auf zusammen aufgewachsen.

Da Ihre Musik sehr schwer einzuordnen ist, hat man alle möglichen Vergleiche herangezogen: Kate Bush, Tori Amos oder Sinéad O‘Connor. Wie würden Sie selbst sie beschreiben?

Die Vergleiche stören mich nicht, denn da nennt man mich ja in einem Atemzug mit starken Frauen, die alle ihre eigene Sprache gefunden haben. Wenn ich aber meine Arbeit erklären soll, dann nehme ich immer Bezug auf Farben. Mein erstes Album zum Beispiel war sehr disparat, voller verschiedener Farbtöne, auf dem zweiten habe ich hingegen nur das Blau in all seinen Nuancen untersucht: manchmal sehr kräftig, manchmal eher bleich. Und diese Nuancen finde ich während des Spiels. Ich schreibe keine Musik, sondern erfinde die Stücke, während ich der Resonanz des Cellos nachhorche. Meine Stimme setze ich dazu fast ausschließlich wortlos ein, lediglich mit den Lauten einer Kunstsprache. So kann ich am direktesten Emotion in Musik übersetzen.

Ihr aktuelles Album heißt 16mm. Das legt den Verdacht nahe, dass Sie außer zu Farben auch einen Bezug zum Film haben.

Viele Leute sagen mir, dass sie meine Stücke als kleine Filme für die Ohren empfinden, und genau so verstehe auch ich sie. Tatsächlich sind etliche Stücke ursprünglich für Soundtracks konzipiert worden, unter anderem für den Film Dina mit Gérard Dépardieu, eine bildgewaltige Geschichte aus dem alten Norwegen, oder für Adrian Lynes Unfaithful. Darüber hinaus gibt es in Kanada viele Leute vom Tanzfach oder vom Zirkus, die mit mir zusammenarbeiten wollen. So verwendet der „Cirque du Soleil“ ein paar meiner Kompositionen.

Sie leben in Montreal – was ist das Spezielle an dieser Stadt?

Montreal hat ein für Künstler äußerst fruchtbares Klima, es ist die kanadische Stadt, in der sich am meisten auf kulturellem Gebiet bewegt. In jedem Fach gibt es außergewöhnliche Charaktere und für jeden Stil ein aufmerksames Publikum. Dazu kommt, dass die kulturellen Belange von verschiedenen Verbänden auch finanziell gefördert werden. Man kann sich hier optimal entfalten und jeder hat seinen Platz, ohne ihn sich erobern zu müssen.

INTERVIEW: STEFAN FRANZEN

Montag, 21 Uhr, Fabrik