Ein Eklat erster Güte zum Auftakt

Bei seiner Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament greift Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi wieder einmal gründlich daneben. Diesmal muss ein SPD-Abgeordneter herhalten. Ansonsten verkündet er lediglich Allgemeinplätze

aus Brüssel GERD RAUHAUS

Man hätte es ahnen können, doch dann übertraf Silvio Berlusconi auch noch die schlimmsten Erwartungen: Bei seinem Debüt als neuer EU-Ratsvorsitzender vor dem Europäischen Parlament in Straßburg sorgte Italiens Regierungschef gestern für einen Eklat. Berlusconi lud den Vizevorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schulz, dazu ein, in einem derzeit in Italien über den Nationalsozialismus gedrehten Film die Rolle des Leiters eines Konzentrationslagers zu übernehmen. „In Italien wird gerade ein Film über die Nazi-Konzentrationslager gedreht, ich schlage Sie für die Rolle des Lagerchefs vor“, sagte er. Schulz, der Berlusconi zuvor wegen dessen Politik scharf kritisiert hatte, erwiderte, sein Respekt vor den Opfern des Faschismus verbiete es ihm, dazu Stellung zu nehmen. Es sei aber schwierig, dass ein EU-Ratspräsident, wenn er mit der geringsten Debatte konfrontiert sei, „seine Contenance in dieser Art verliert“. Für seine Äußerungen erhielt der deutsche Sozialdemokrat Applaus seiner Kollegen.

Eine Entschuldigung verweigerte Berlusconi: „Schulz hat mich persönlich beleidigt, in einer Form, die nicht zulässig ist in einem solchen Parlament.“ Seine Äußerung über den KZ-Aufseher sei ironisch gemeint gewesen. „Ich ziehe das nicht zurück, was ich mit Ironie gesagt habe, wenn Schulz die persönlichen Beleidigungen nicht zurücknimmt.“

Angesichts dieses verbalen Amoklaufes redete gestern Nachmittag über die substanzlose Antrittsrede Berlusconis dann niemand mehr. Dort hatte sich Berlusconi noch ganz präsidial geriert und Frieden, Freiheit sowie Wohlstand für alle beschworen. Er versprach Fortschritt und Kontinuität. Wer ihn und sein unheilvolles Wirken in Italien kennt, hätte sich unruhig winden müssen, aber die meisten wanden sich nicht. Viele freuten sich über die versprochene Ausweitung ihrer Rechte, die Ankurbelung der Wirtschaft und die Vermeidung von Peinlichkeiten gleich zu Beginn der halbjährigen Präsidentschaft.

Konkrete Pläne für die Ratspräsidentschaft? Fehlanzeige. Stattdessen gefiel sich Berlusconi in Gemeinplätzen und abstrakten Versprechungen: die Wirtschaft effizienter stützen, die Nachhaltigkeit des Rentensystems sichern, das Unternehmertum stärken.

In Brüssel bereiten die nächsten sechs Monate so manchem „erhebliches Bauchgrimmen“, wie es ein hoher Diplomat vorsichtig ausdrückte. Doch solange die Häuptlinge daheim schweigen, trauen sich ihre Diplomaten nicht, öffentlich auf die Pauke zu hauen. Dabei weiß man, dass Kommissionspräsident Romani Prodi einen Groll auf Berlusconi hegt, doch er will sich um „Normalität“ der Beziehungen bemühen, obwohl der Mann aus Rom erklärt hat, zwischen der Ratspräsidentschaft und der Kommission sei eine enge Kooperation „nicht so notwendig“.

Über eine „Gefahr für die europäische Wertegemeinschaft“ hatte Gerhard Schröder gewettert, und jetzt droht nach Ansicht mancher Kritiker eine „Berlusconisierung“ Europas. Doch die Häuptlinge schweigen und übersehen die Möglichkeit von Sanktionen, wenn ein Mitglied gegen wesentliche Grundsätze der Union verstößt, etwa gegen Pressefreiheit oder Rechtsstaatlichkeit.

Niemand bestreitet in Brüssel, dass Berlusconi beide Tatbestände erfüllt. Doch nur die meisten europäischen Zeitungen sind da offener. „Eine Gefahr für Europa“ wittert die linksliberale französische Tageszeitung Libération, und das liberale niederländische NRC Handelsblad verweist darauf, dass viele Landsleute Berlusconis ihn „bestenfalls als eine Art Gauner und schlimmstenfalls als einen Berufsverbrecher mit Mafia-Kontakten“ sehen.