Rückzug ins Formale

Just am Tag, nachdem in einer Coburger Schule geschossen wurde, geht der Streit um ein Buch zum Erfurter Massaker in eine neue Runde. Prof. Huisken wirft dem Uni-Rektor„politische Zensur“ vor.

„Der Rektor ist nicht verpflichtet, seine Entscheidung zu begründen“

Ein veritabler Wissenschaftsstreit an der Bremer Universität? Das wäre ja was. Aber dazu wird es wohl nicht kommen, auch wenn fast alle Zutaten bereit stehen. Als da wären: Die streitbare Schrift eines Erziehungswissenschaftlers zum Erfurter Schulmassaker, der Wunsch eben jenes Professors, damit zumindest in der Wissenschaftsöffentlichkeit für Debatten zu sorgen, schließlich die Weigerung des Rektors, das Buch über die universitären Organe vorzustellen. Begründung: Es trüge nicht dazu bei, „die Reputation und das Ansehen der Universität“ zu mehren.

Aber der Reihe nach: Freerk Huisken, seit 1971 Professor an der Bremer Universität, wollte im Herbst vergangenen Jahres sein neustes Buch, Titel: „z.B. Erfurt – Was das bürgerliche Bildungs- und Einbildungswesen so alles anrichtet“, über den universitären Verteiler publik machen. In der Tradition linker Gesellschaftskritik enthüllt er darin die Reaktionen auf den Amoklauf des Erfurter Schülers Robert S., dem im Frühjahr vergangenen Jahres 18 Menschen zum Opfer fielen, als zynisch und widersprüchlich. Einerseits werde die Tat als so unerklärlich wie monströs dargestellt, andererseits sei nach Erfurt auch Kritik am Schulsystem aufgekommen – freilich ohne es in seinen Grundfesten zu erschüttern. Huisken vertritt nun die These, dass der Attentäter nicht nur „ein Produkt schulischer Selektionsprozesse“ sei. Vielmehr sei die Tat von Erfurt auch „das Produkt einer gelungenen Erziehung, in der Selbstbewusstseinskult und Anerkennungswahn ihre verhängnisvolle Rolle spielen. In ihr ist das Selbstbewusstsein (...) nur zu dem ihm gemäßen radikalen Ende gebracht worden.“

Dem Rektor der Bremer Universität, Wilfried Müller, ist das zu starker Tobak. Die zentralen Thesen des Buches seien „zynisch“, sie seien den „Verwandten, Bekannten und Freunden der Opfer und des Täters, aber auch vielen Bürgern“, die nach wie vor unter Schock stünden, nicht zuzumuten. Das Buch wird, so hat es der Rektor entschieden, nicht in den Verteiler aufgenommen.

Huisken, der gestern zur Aussprache über den Fall geladen hatte, hält diesen Vorgang für „politische Zensur“. „Angesichts der vielen geschmacklosen TV-Shows mit detaillierten Schilderungen, die kurz nach Erfurt gezeigt worden sind, soll ausgerechnet eine theoretische Schrift ein Jahr später die Gefühle der Hinterbliebenen verletzten?“, fragt er – und wundert sich, dass die Universität „als Sorgeanstalt für die Betroffenen auftritt“, anstatt „zu einem so wichtigen Thema die Debatte anzuheizen, auch mit unbequemen Forschungsergebnissen“.

Die Politik-Professorin Margaret Wirth, die gestern mit Huisken zusammen die Veranstaltung vor gut 150 Studentinnen und Studenten leitete, assistierte mit weiteren Fragen an die Universitätsleitung: „Bei wem beansprucht die Uni denn überhaupt Reputation?“ wundert sie sich. Offenkundig sei „der durchgesetzte politisch-ökonomische Zeitgeist“ der Maßstab dafür, ob eine Veröffentlichung für nützlich oder schädlich befunden werde. „Aber die durchgesetzte Meinung kann doch nicht Ausgangspunkt für wissenschaftliches Arbeiten sein“, so Wirth.

Auch die Studierenden teilten die Kritik. Ein Asta-Mitglied kritisierte, dass „das Rektorat sich offenbar scheut, den Streit öffentlich auszutragen.“ In einem Brief an die Uni-Leitung protestiert nun der Asta gegen den Vorgang, und auch Professoren haben sich bereits zusammengetan und werfen dem Rektor „Konformismus“ und „Kritiklosigkeit“ vor.

Stoff – wie gesagt – für einen veritabeln Wissenschaftsstreit. Aber die Professoren wie auch der Asta werden ihre Kritik schriftlich mitteilen müssen. Denn der Rektor ist zum gestrigen Debatten-Termin nicht erschienen. Er zieht sich aufs Formale zurück und möchte, so Universitäts-Sprecherin Winni Abraham, „seinen Briefen nichts hinzufügen“. Es gebe, das ist sinngemäß der Inhalt der Briefe, kein Anrecht auf Veröffentlichung in den universitären Organen. Außerdem, so schreibt der Rektor, sei er rechtlich nicht verpflichtet, seine Entscheidung zu begründen. Elke Heyduck

Informationen zum Buch und zum Briefwechsel unter www.fhuisken.de