Migrantenkinder haben den Deutschen was voraus

Mehrsprachigkeit und Kenntnis verschiedener Kulturen sind eine große Chance. Trotzdem stoßen Migrantenkinder häufig auf Ablehnung, wie eine Kölner Forschungsgruppe feststellt. Ergebnis: Rückzug in die „eigene“ Kultur statt Integration und Herausbildung einer „mehrkulturellen Identität“

Köln taz ■ „Ich möchte so gerne die deutsche Kultur kennen lernen, damit ich sie verstehen kann. Da werde ich aber auch wollen, dass sie auch meine Kultur kennen lernen, damit sie auch mich verstehen und nicht schief angucken. Damit man weiß, warum ich ein Kopftuch trage.“ Die 18-jährige Kadischah (Name geändert) ist zwar in Köln geboren und geht hier aufs Gymnasium, doch in ihrer Familie werden Kultur und Werte der „alten Heimat“ Türkei weiter hochgehalten. So entwickelt Kadischah eine „mehrkulturelle Identität“: nicht „richtig“ Deutsch, nicht wirklich Türkisch, sondern „Migrantisch“.

In Köln gibt es viele Kadischahs: Fast jeder dritte Heranwachsende in der Stadt hat einen Migrationshintergrund. Anlass genug für Professor Josef Freise von der Kölner Abteilung der Katholischen Fachhochschule NRW zu untersuchen, wie die Integration solcher Kinder und Jugendlicher befördert werden kann. Dazu befragten Studenten und Doktoranden des Studienschwerpunkts „Interkulturelle Soziale Arbeit“ Aussiedler- und Migrantenkinder wie Kadischah zu ihrer Situation, ihren Erwartungen und Problemen mit dem Leben in Deutschland.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten stellten die neun Autoren am Montag Abend im Domforum vor. Dabei betonte Freise vor allem die Erkenntnis, dass mehrkulturelle Identität eigentlich eine große Chance biete. Vor allem die Mehrsprachigkeit und die Fähigkeit, mit den Werten und Codes verschiedener Kulturen zurecht zu kommen, seien Kompetenzen, die heutzutage eigentlich jeder Mensch brauche. „Die Migranten haben uns da was voraus.“ Dennoch berge eine solche Identität natürlich Risiken. So bestehe die Gefahr der kulturellen „Entwurzelung und „Heimatlosigkeit“ – vor allem dann, wenn Migranten durch Diskriminierung und Missachtung daran gehindert würden, eine eigene, mehrkulturelle Identität zu entwickeln.

Genau hier müsse die Politik ansetzen, forderte die Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, die die Buchpräsentation mit einer Lobesrede eröffnete. Leider verstünden Politiker Integration häufig als vollständige Anpassung an die Mehrheitskultur. Dabei gehe es vielmehr um einen gegenseitigen Prozess des Gebens und Nehmens – und um Chancengleichheit. „Politik und Gesellschaft müssen signalisieren: Ihr gehört zu uns“, etwa indem die Mehrsprachigkeit aktiv gefördert und der Islam als gleichberechtigte Religion neben dem Christentum anerkannt werde. Stattdessen aber erschwere die fast tägliche Erfahrung von Diskriminierung und Rassismus die Integration. Denn der Rückzug in die eigene Kultur oder in radikale Religiosität sei oftmals „Reaktion auf die Zurückweisung, die Migranten von der Mehrheitsgesellschaft erfahren“, weiß Akgün.

Tatsächlich stellte etwa Karin Diebold bei ihren Befragungen in Chorweiler fest, dass sich neu zugewanderte Migrantenkinder umso stärker auf die Familie zurückziehen, je mehr Ablehnung sie erfahren. So erklärt die 14-jährige Meryen (Name geändert) aus Irak, die fast die ganze Freizeit zuhause verbringt: „Der Lehrer war sehr streng mit Ausländer, ich glaube, er hat auch Ausländer gehasst. Ich weiss, dass es so eine kleine Stadt ist, und die mögen keinen einzigen Schwarzhaarigen.“ Susanne Gannott

Katja Feld, Josef Freise, Annette Müller (Hg.): Mehrkulturelle Identität im Jugendalter. LIT Verlag, Münster 2004