Rätselraten um Einsturzursache

Noch ist unklar, was das neue Terminal am Pariser Flughafen Charles de Gaulle zusammenbrechen ließ: Schäden nach der Rekordhitze 2003 oder Pfusch am Bau?

PARIS taz ■ „Der Vorteil Qualität“ – so titelte das Magazin der Pariser Flughafengesellschaft Aeroports zur Eröffnung des neuen Terminals E-2 im Flughafen Roissy, Charles de Gaulle. Das war vor einem Jahr. „Reißt es ab!“, überschrieb gestern das Boulevardblatt France Soir seine Seite eins. Aus gutem Grund: Der Bau ist bereits in Teilen zusammengestürzt, vier Menschen wurden dabei getötet.

Das 650 Meter lange und 750 Millionen Euro teure Bauwerk aus Beton, Glas und Stahl war als Aushängeschild für die französische Bauindustrie und Flughafentechnik gedacht. Am Sonntagmorgen stürzte ein 30 mal 20 Meter großes Teilsegment aus der 70 Meter breiten Röhre ab. Es erschlug zwei Beschäftigte einer chinesischen Brauerei, die auf der Durchreise nach Mexiko waren, eine Frau mit einem tschechischen Pass, dessen rechtmäßige Besitzerin freilich noch lebt, sowie eine bislang nicht identifizierte Person. Sechs weitere Personen wurden verletzt, darunter drei Polizisten des französischen Grenzschutzes. Wegen verdächtiger Knackgeräusche im Dach hatten sie zusammen mit Kollegen im letzten Moment den Einsturzbereich evakuiert. 80 Personen konnten so gerettet werden.

Seither ist Terminal E-2 geschlossen. Die 60 täglichen Flüge sind auf andere Terminals umgeleitet worden. Da schon bei den ersten Bergungsarbeiten erneut verdächtiges Knacken hörbar wurde, ist nicht ausgeschlossen, dass E-2 nie wieder eröffnet wird.

Warum das Bauwerk mit dem „Vorteil Qualität“ in Trümmern liegt, ist ein Rätsel. Experten haben verschiedene Erklärungen, von denen bislang noch keine gesichert ist. Darunter Risse im Beton der Stützsäulen, eine fehlerhafte Stahlummantelung des Betons sowie mögliche Bewegungen im Untergrund des Terminals, die auf die Rekordhitze des vergangenen Sommers zurückzuführen sein könnten.

Erste Anzeichen auf Mängel hatte es bereits vor der Inbetriebnahme gegeben. Bei den Bauarbeiten tauchten Risse im Beton auf. Die Gewerkschaft CGT bemängelte im Frühling 2003, dass das neue Terminal zu schnell und zu billig gebaut worden sei. Und bei der letzten Inspektion stürzte eine Lampe von der Decke ab. Die feierliche Eröffnung wurde um eine Woche verschoben.

Der französische Stararchitekt Paul Andreu erklärte im Interview mit der Zeitung Humanité, er habe alle Sicherheitsauflagen befolgt. Zur Bauzeit von Terminal E-2 war der inzwischen freiberuflich tätige Andreu noch Angestellter der Pariser Flughafengesellschaft ADP, die auch die Federführung bei der Großbaustelle hatte. ADP engagierte in den Jahren 1999 bis 2003 insgesamt 400 Unternehmen für die Bauarbeiten. Für die eingestürzten Teile zeichnen zwei Firmen verantwortlich: GTM, eine Filiale der Gruppe Vinci , sowie Hervé. Als Gutachter verfolgte Veritas die Arbeiten.

Die französische Industrie wird einen hohen Preis für die Katastrophe zahlen. Die Aktien der beteiligten Bauunternehmen stürzten bereits am Montag ab. Auch Air France wird Nachteile haben. Das Flugunternehmen war nicht nur Hauptkunde des Terminals E-2, sondern wollte ihn auch zum Knotenpunkt für seine europäischen Partner ausbauen.

Ein schweres Unglück am Bauplatz eines anderen französischen Prestigeobjekts gab es schon im vergangenen November. Bei einer Besichtigung des in Saint-Nazaire gebauten Luxuskreuzschiffes „Queen Mary 2“ stürzte eine Besucherbrücke ab. 15 Menschen starben. Auch dort machte die Gewerkschaft CGT Sparmaßnahmen beim Bau für die Katastrophe verantwortlich. Inzwischen hat eine Expertenkommission bestätigt, dass die von einem Subunternehmen gebaute Besucherbrücke zur „Queen Mary 2“ nicht den Sicherheitsvorschriften entsprach.

DOROTHEA HAHN