In die Gerechtigkeitslücke gestolpert

Arbeitslose haben seit Jahresbeginn noch mehr Sorgen: HilfebezieherInnen dürfen weniger auf der hohen Kante haben – und wer lange für die Rente privat vorgesorgt hat, muss sie vielleicht verknuspern. Nur für die neue Riester-Rente gilt das nicht. Wie es einer arbeitslosen Akademikerin ergangen ist

„Die Politiker treiben uns in die Armut“, sagt Schilm. Und: „Wer sein Geld in den Urlaub gesteckt hat statt in die Rente, muss das nicht erleben.“

von Eva Rhode

taz ■ Zehn Jahre hat Petra Schilm als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bremen und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ihr Geld verdient. Doktor Petra Schilm darf die Religionswissenschaftlerin sich nennen, seit sie über den Osiris-Mythos promoviert hat. Mit magna cum laude. Ihren Sachbearbeiter beim Bremer Arbeitsamt durfte das nicht kümmern. Ihm musste es vor allem um das Vermögen der 42-Jährigen gehen, die nach fast drei Jahren Arbeitssuche und Weiterqualifizierung dann doch den Antrag auf Arbeitslosenhilfe verlängern musste. Da begriff Petra Schilm die Auswirkungen der gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. „Man wird wie Dreck behandelt“, sagt sie.

Das seit Jahresbeginn gültige Reglement der Bundesanstalt für Arbeit lässt der Akademikerin auf Jobsuche kaum noch Spielraum – und das möglicherweise auf lange Sicht. Wenn ihre Bezüge mit dem angekündigten Arbeitslosengeld II womöglich weiter auf Sozialhilfeniveau sinken, müsste sie umziehen, um billiger zu wohnen.

Mitten in der Jobsuche, vielleicht kurz bevor sie ohnehin an einen neuen Arbeitsort ziehen kann. Schilm bewirbt sich europaweit. „Aber wie soll ich Umzüge bezahlen?“, fragt sie. Die Aussichten lassen die Frau unter den roten Sommersprossen buchstäblich blass werden.

Noch hat sie 20 Bewerbungen offen. Doch der Stapel freundlicher Absagen auf dem Schreibtisch ist nicht zu übersehen. „Neulich war ich eine von 750 Bewerberinnen“, seufzt sie. Und hofft weiter. Schließlich hätte sie im vergangenen halben Jahr zweimal fast eine Stelle gekriegt – wäre das Bewerbungsverfahren nicht im Nachhinein für null und nichtig erklärt worden. Jedes mal wurde die ihr schon versprochene Stelle gestrichen. Als dann noch der Hinweis vom Arbeitsamt kam, die privat angesparte Altersrente müsse – je nach Höhe – vielleicht als Vermögen angerechnet werden, blieb Petra Schilm, Tocher einer Schneiderin und eines Maschinenbauers, nächtelang ohne Schlaf.

„Seit 1992 spare ich fürs Alter“, sagt sie. Selbst während der Arbeitslosigkeit, bis heute, überweist sie monatlich. „Als noch kein Mensch an Riesters Rente dachte, habe ich schon privat vorgesorgt.“ Doch belohnt wird das nicht – im Gegenteil: Nur die Riester-Rente nämlich wird bei ArbeitslosenhilfebezieherInnen als Vermögenswert ausgeklammert.

Petra Schills Rentenersparnisse hält der Gesetzgeber nicht für schützenswert. Quälende Wochen verbrachte die Bremerin, bis ihre Versicherung den Rückkaufswert ihrer Privatrente auf knapp 8.000 Euro bezifferte. 8.400 Euro darf sie mit ihren 42 Jahren maximal besitzen. „Jetzt darf ich wohl nicht weiter einzahlen“, konstatiert sie bitter. Sonst stiege ja der Rentenwert über die erlaubte Sparreserve von 200 Euro pro Lebensjahr.

Zum 1. Januar wurde die erlaubte Vermögensreserve mehr als halbiert. Bis dato durften Hilfebezieher 530 Euro pro Lebensjahr auf der hohen Kante haben, Lebens- oder Ehepartner nochmal so viel. Jetzt gilt das nur noch für die über 55-Jährigen. „Die Politiker treiben uns in die Armut“, sagt Petra Schilm. Und: „Wer sein Geld in den Urlaub gesteckt hat statt in die Rente, muss das nicht erleben.“

„Es gibt eine Gerechtigkeitslücke“, sagt dazu Georg Schaff. Der Jurist und Arbeitslosenrechtsberater der Bremer Arbeitsnehmerkammer wünscht sich dringend Klarheit. Fälle wie den von Petra Schilm erlebt er neuerdings täglich. Schaff: „Die aktuellen Gesetze machen den Menschen die ganze Lebensplanung kaputt.“

Die des 53-jährigen ehemaligen Schiffbauers beispielsweise. 27.000 Euro hätte der bislang trotz Arbeitslosenhilfe besitzen dürfen. Für Notfälle. Um die schrumpfende Hilfe gelegentlich aufzumöbeln. Für Anschaffungen. Das ist seit Januar vorbei. Höchstens 10.600 Euro darf der Mann jetzt an Vermögen haben. Ja, Schaff kennt Menschen, jahrelange Hilfebezieher, die mit der Neuregelung seit der Sylvesternacht als quasi vermögend gelten. Sie müssen nun das Ersparte aufbrauchen, bevor es wieder Arbeitslosenhilfe gibt. „Aber diese Leute kriegen doch in Bremen keine Arbeit mehr. Das weiß jeder. Die werden jetzt an den Rand gedrängt“, sagt Schaff.

So gesehen hat Petra Schilm Glück gehabt. Mit ihren Ersparnissen liegt sie haarscharf am erlaubten Limit – bekommt weiter Arbeitslosenhilfe. Dennoch wird Petra Schilm die Wut nicht los. „Dieses Gerede, faule Arbeitslose motivieren zu müssen, bringt mich auf die Palme“, sagt sie. 30 Briefe schrieb sie an Entscheidungsträger und Politiker. Ihr „ICH SUCHE ARBEIT!“ erhielt auch Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD). „Stellen Sie mir einen Arbeitsplatz, bevor mich die neuen Gesetze aus dem sozialen Netz kippen!“ schrieb sie in der Angst um ihre Rente. Aber auch: „Ich hoffe, Sie haben mir mehr zu bieten als den Hinweis, es doch mal mit einer Beratung beim Arbeitsamt zu versuchen!“ Zurück kam: „Verständnis für Ihre Enttäuschung und Verbitterung“ – und die Aufmunterung, „weiterhin engen Kontakt zum Arbeitsamt zu halten“.

„Daran sieht man, dass die Politiker zurzeit nichts außer Druck machen“, folgert Schilm, die sich als „eigentlich unpolitisch“ bezeichnet. Nur wählen geht sie. Im vergangenen Mai auch zu den Bürgerschaftswahlen. „Aber SPD konnte ich nicht wählen“, sagt sie leise. Obwohl Bremens Ex-Bürgermeister Hans Koschnick ihr den schönsten Antwortbrief schickte: „Ich verstehe sehr gut ihren Zorn“, schrieb Koschnick, der ihr Schreiben auch an Ex-Arbeitsminister Walter Riester weiterleitete. Außerdem schrieb Koschnick: „Ich weiß, dass die internationale wirtschaftliche Lage in vielen europäischen Ländern zu beachtlichen Verwerfungen geführt hat.“ Er habe sich dafür eingesetzt, dass die erforderlichen Einschnitte nicht überwiegend im sozialen Netz erfolgen sollten. Der Brief datiert vom Tag nach der Bremer Wahl. Da hatte Petra Schilm ihren Wahlzettel schon ungültig gemacht.

Heute, nachdem sie das ganze Ausmaß der kommenden Reformen langsam absieht, sagt sie: „Es muss doch vielen Menschen so gehen wie mir. Wo sind die nur? Warum gehen die nicht auf die Straße?“