Ansteckende Lethargie

Fürchte die Akademie, wenn sie „Schriftsteller mit griechischem Namen“ bringt. Der Amerikaner Jeffrey Eugenides verlässt Berlin, Sigrid Löffler verabschiedete ihn

Hinterher, als man wie immer klüger war, wunderte man sich nur, dass einen das Motto der Lesung nicht gleich abgeschreckt hatte. „Schriftsteller mit griechischen Namen“ – es war doch klar, dass Sakkoträgerhumor und Kulturanästhesie nicht weit voneinander entfernt liegen. Wäre man lieber im benachbarten Tiergarten spazieren gegangen, da war die Luft wenigstens frisch, oder besser noch: Hätte man bloß zu Hause ein Buch gelesen. Durchaus auch eines von Jeffrey Eugenides oder Aris Fioretos.

Am Vertreter der Griechischen Kulturstiftung Berlin lag es nicht, dass der Abend in der Akademie der Künste in zäher Artigkeit verrann. Er tat nur, was er tun musste: Er verlas eine Rede, war dabei aber immerhin recht fidel und fasste sich kurz. Es ging darum, was die beiden Autoren erstens miteinander und zweitens – siehe oben – mit Griechenland verbindet. Dann hätte es eigentlich losgehen können mit der Literatur, aber da saß noch Sigrid Löffler und zählte, schon deutlich weniger engagiert, weitere Gemeinsamkeiten auf, wobei sie Erstaunliches zutage förderte, nämlich Alter, Wohnort und eine Vergangenheit als DAAD-Stipendiat.

Doch eigentlich, sagte sie dann etwas überraschend, eigentlich solle es ja um die Unterschiede zwischen den beiden gehen, um ihre Einzigartigkeit als Autoren. Um es vorwegzunehmen: Eugenides und Fioretos sind sehr gescheite Leute, doch einer von beiden, der Pulitzerpreisträger, versteht sich dazu noch ausgezeichnet aufs Erzählen, was bei einer Lesung nie schaden kann.

Eugenides ist Berlin sehr dankbar für die schönen Jahre und die netten Zuwendungen, und er weiß, wie man sich erkenntlich zeigt. „Let’s greek it up“, rief er also und las „griechische“ Passagen aus seinen beiden Romanen „Die Selbstmordschwestern“ und „Middlesex“.

In Fioretos historischem Gender-Trouble-Thriller „Die Wahrheit über Sascha Knisch“ kommen leider gar keine Griechen vor, dafür aber viele Gänsefüßchen, die der Schwede, der übrigens auch Kulturattaché seines Landes ist, mit den Fingern in die trockene Luft strichelte.

Der Rest war Routine: ein paar Anekdoten, die Antäuschung eines Gesprächs, gepflegte Schlaumeierei. Die beiden sind gut befreundet, gut möglich also, dass sie sich schon alles gesagt haben, jedenfalls hatten sie nichts zu erzählen, und Sigrid Löffler, die offensichtlich keinem mehr etwas beweisen muss, wollte nichts wissen. Das Publikum war erbarmungslos unterfordert, aber durch viele ähnliche Abende abgebrüht. Dann schlug Löffler vor, angesichts der vorgerückten Stunde zum Ende zu kommen. Es war zwar erst viertel vor zehn, aber sie hatte vollkommen Recht.

Es war, kurz gesagt, eine dieser Veranstaltungen, bei denen Literatur unter aktiver Mitwirkung von Autoren und Moderatoren in derartig ansteckender Lethargie dargeboten wird, dass man sich zeitweise nicht mehr erinnern kann, warum man sich manchmal einbildet, man könnte sein Leben gut und gerne mit Lesen verbringen. Das ist schlimm, und schlechter griechischer Wein hinterher macht es nur noch schlimmer. Man wollte nach Elke Heidenreich rufen, damit sie einen aufmuntert.

Vielleicht, so der letzte, matte Gedanke, vielleicht hat es ja mit dieser Art von Literaturvermittlung zu tun, dass deutsche Schüler so schlecht sind im Lesen. Das wiederum könnte ein Grund dafür sein, dass Jeffrey Eugenides seine Tochter jetzt lieber in Chicago einschulen lassen will, weshalb er, wie in dieser Woche bekannt wurde, Berlin bald verlassen wird.

Damit schließt sich wohl ein Kreis, welcher auch immer. Es wird schon irgendwas mit Griechenland zu tun haben.

KARSTEN KREDEL