Banküberfälle mit Süßigkeiten

Eine Stadtteilführung folgt den Überbleibseln von kiffenden Jugendlichen, linken Langhaarträgern und radikaler Stadtguerilla der 70er-Jahre. Als Zeitzeugen engagierte das Kreuzberg Museum Ralf Reinders, damals Mitglied der Bewegung 2. Juni

VON VERENA HEYDENREICH

Ein hohes Gitter mitten in einem Blumenbeet am Mehringplatz verhindert, dass jemand auf genau diesen fünf Quadratmetern sitzen kann. Scheinbar ohne Grund verteidigt es gerade dieses Stückchen Erde. Ein paar Meter weiter ist Sitzen erlaubt, und ein paar Kreuzberger genießen hier die frische Luft oder ein Bier. Die genaue Bewandtnis des Gitters erfährt, wer an der Führung durchs westliche Kreuzberg unter dem Titel „Vom Berliner Blues zur Stadtguerilla“ teilnimmt.

Genau hier war nämlich ein beliebter Treffpunkt von Jugendlichen in den 70er-Jahren, da aus dem darunter liegenden U-Bahn-Schacht warme Luft nach oben gepustet wird. Diese langhaarigen, jointrauchenden Störenfriede sollten aus dem neu bebauten Gebiet durch das Gitter vertrieben werden. Die Stadtführung wird vom Kreuzberg Museum in Zusammenarbeit mit StattReisen Berlin e. V. organisiert und zeigt, wie Geschichte und Politik das Stadtbild prägen.

Die Historikerin Katja Roeckner liefert bei der Führung das Hintergrundwissen und erklärt, was noch mal der „Radikalenerlass“ oder die „Bewegung 2. Juni“ war. Der zweite Stadtführer Ralf Reinders kennt dagegen das frühere Kreuzberg aus eigenem Erleben. Reinders, einigen noch bekannt als „der Bär“, war Mitglied der Bewegung 2. Juni und an vielen Aktionen der Stadtguerilla beteiligt. Wegen Beteiligung an der Entführung des CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz im Berliner Wahlkampf 1975 saß er für 15 Jahre in der JVA Moabit. Reinders kann zu jedem der besuchten Orte Anekdoten erzählen. Und er stellt auch gerne mal die offizielle Geschichtsschreibung oder Erzählweisen von anderen früheren 2.-Juni-Bewegten richtig. Am Tommy-Weißbecker-Haus wird etwa versucht zu klären, wie der Hausbesetzer und Namenspatron des Jugendhauses tatsächlich erschossen wurde. Spannend ist auch, über die unterschiedlichen Gruppen des linken Kreuzbergs zu hören. So gab es zwischen Studentenbewegung, Arbeiterjugendlichen, straff organisierten linken Gruppen oder dem „Zentralkomitee der umherschweifenden Haschrebellen“ doch einige Differenzen, aber auch genug gemeinsame Feindbilder, um in denselben Kneipen rumzuhängen.

Von einem dieser damaligen Treffpunkte, der Musikkneipe Zodiak, geht es dann weiter zum Kreuzberger Amtsgericht. Hier sollten durch einen Anschlag belastende Akten vernichtet werden, was Reinders und den anderen jedoch misslang. Reinders betont dann noch, man habe bei aller Radikalität den Rückhalt in der Bevölkerung nicht ganz verlieren wollen. Daher seien etwa bei Banküberfällen Süßigkeiten verteilt worden.

Als Höhepunkt folgt dann der Keller, in dem der entführte Peter Lorenz fünf Tage versteckt wurde. Er kam frei, als den Forderungen der Entführer nach der Entlassung von einigen Gefangenen nachgegeben wurde.

Nach etwas mehr als den geplanten zweieinhalb Stunden endet dann der Rundgang an der Gneisenaustraße. Nach Reinders reichen Erfahrungen zu urteilen hätten wohl noch viele Kreuzberger Orte besucht werden können, ohne dass ihm die Geschichten ausgegangen wären.

Weitere Führungen: Sa., 5. Juni, 17 Uhr an der Friedenssäule am Mehringplatz. Mo., 7. Juni, 14 Uhr an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Teilnahmegebühr: 8 €, erm. 6 €ĽAusstellung „Geschichte wird gemacht. Berlin am Kottbusser Tor“ im Kreuzberg Museum bis 4. Juli, www.kreuzbergmuseum.de