Zuchtmeister und Therapeut gesucht

Er ist der neue Hoffnungsträger der hessischen SPD. Aber welche Möglichkeiten hat Thorsten Schäfer-Gümbel, die Sozialdemokraten nach dem Debakel der Ypsilanti-Zeit wieder auf die Beine zu bekommen?

WIESBADEN taz ■ Thorsten Schäfer-Gümbel, schon mal „TSG“ genannt, wird es schwer haben: Die hessischen Sozialdemokraten haben eine zwölf Monate dauernde Achterbahnfahrt hinter sich, die am Sonntag mit dem Absturz um 13 Prozentpunkte endete. Jetzt sollen sie gleich in die „Aufholjagd“ einsteigen, die TSG am Wahlabend verlangt hat. Schafft er es? Hier eine Zusammenstellung der Faktoren, die bei der Reparatur der Hessen-SPD eine Rolle spielen.

Strömungen: Schäfer-Gümbel selbst gehört zur Parteilinken, die in Hessen „Vorwärts“ heißt. Unter Andrea Ypsilanti hat sie den Landesverband beherrscht. Auf der anderen Seite stehen die Strömungen „Netzwerk“ und „Aufwärts“. Die Parteirechten sind geschwächt, seit sich ihr früherer Anführer Jürgen Walter im November mit seinem kurzfristigen Ausstieg aus Rot-Rot-Grün zum Abtrünnigen gemacht hat. Insofern ist das Integrieren für Schäfer-Gümbel leichter. Aber: Wenn sich die Parteirechten an die Wand gedrängt fühlen, produziert das neuen Ärger.

Nord-Süd-Frage: Der Landesverband teilt sich in zwei Bezirke. Hessen-Süd hat mehr Mitglieder. Aber Hessen-Nord ist seit Jahrzehnten Hochburg einer erfolgreichen Schlipsträger-Sozialdemokratie. Hier sahen viele Ypsilantis Rot-Rot-Grün-Plan skeptisch, und viele Würdenträger aus der Lokalpolitik finden, dass sie lange genug den Mund gehalten haben. Schäfer-Gümbel, bisher Vizechef Hessen-Süd, hat deshalb im Wahlkampf einen Schwerpunkt auf den Norden gelegt und sogar einen Hessen-Nord-Stallgeruch in die Säle gesprüht: indem er überall erzählte, dass seine Frau aus dem nordhessischen Grebenstein kommt. Außerdem können die Südhessen den Nordhessen vorhalten, dass Nordchef Manfred Schaub im November das Angebot ausschlug, Spitzenkandidat zu werden.

Posten: Schäfer-Gümbels großer Vorteil ist, dass er die Parteizentrale einigermaßen besenrein übernimmt und kaum eigenen Hofstaat zu versorgen hat. Der Generalsekretärs- und ein Landesvizeposten sind frei, auch in Landesvorstand und Fraktion kann rumgeruckelt werden. So kann er Strömungen und Regionen einbinden. Leute, mit denen er kann, gibt es. Zum Beispiel Juso-Chef Björn Spanknebel aus Nordhessen. Durch Posten einbinden – das stößt allerdings an Grenzen, weil das Geld fehlt. Weniger Stimmen bedeuten weniger Parteigeld vom Staat, und nach zwei Wahlkämpfen in zwölf Monaten ist die SPD ohnehin finanziell ausgezehrt. Zusatzproblem: Die Fraktion ist von 42 auf 29 Abgeordnete geschrumpft. Was wird aus den Verlierern?

Parteiseele: Die hessische SPD tickt völlig anders als die CDU. Keine Kommandopartei, sondern eine – verkrachte – Parteifamilie, in der Gefühle eine große Rolle spielen. „Wir sitzen jetzt fünf Jahre im Loch“, gibt ein führender Sozialdemokrat die Gemütslage der Partei wieder. Schäfer-Gümbel muss einerseits fürsorglich auftreten: Zuhören, zurückrufen, jeder muss sich ernst genommen fühlen. Andererseits dürfte er getreu seiner Erklärung, die Zeit der Spielchen sei vorbei, mit Härte gegen zu laute Kritiker vorgehen. Therapeut und Zuchtmeister in einer Person, das wird schwierig.

Zeitplan: Schäfer-Gümbel ist nach seinem 71-Tage-Wahlkampf erkennbar abgekämpft. Zum Schluss ist ihm am Wochenende auch noch ein Auto in seinen neuen VW hineingefahren. Nun will er sich Zeit für Gespräche nehmen. Das könnte Probleme bringen, denn je länger er wartet, desto mehr Leute sehen sich als Idealbesetzung auf dem „Zukunftstableau“, wie ein SPD-Funktionär es nennt. Am 28. Februar soll ein Landesparteitag in Darmstadt TSG zum neuen Vorsitzenden wählen und auch über die anderen Führungsposten abstimmen. GEORG LÖWISCH