Ihre Arbeit hat sich gelohnt

Auch wenn viele Wünsche zur europäischen Verfassung nicht umgesetzt werden konnten, sind die 105 Konventsmitglieder überaus zufrieden

aus Brüssel GERD RAUHAUS

Es ist der Tag des Schulterklopfens. „Wer hätte vor 16 Monaten gedacht, dass die Vertreter von 28 Staaten in so kurzer Zeit eine Verfassung schreiben würden?“, fragte etwa Konventsmitglied Joschka Fischer, und er hat Recht. Für Brüsseler Verhältnisse waren die sechzehn Monate, die die 105 Mitglieder des Konvents tagten, eine extrem kurze Zeit.

Doch nicht alle waren beim Schulterklopfen gleichermaßen aktiv. Denn natürlich sind so manche Verfassungswünsche unter den Präsidiumstisch gefallen, und einige fühlen sich im Rückblick besonders durch das autoritäre Verhalten des Präsidenten Giscard d’Estaing in die Ecke gedrückt. „Der will auf den Sockel der großen Verfassungsväter der Neuzeit“, schimpfte ein österreichisches Konventsmitglied, aber andere versuchten ihn zu trösten: „Wir haben das Erreichbare geschafft.“ Vieles davon schien zu Anfang nicht überwindbar zu sein. So etwa der Widerstand der Briten gegen einen europäischen Außenminister, mag er nun den Titel „Außenminister“ tragen oder – wie es den Briten lieber gewesen wäre – nur schlicht „Vertreter“ heißen.

Der Konvent hat sich allerdings nicht darauf verständigen können, in der Außenpolitik künftig das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen zu akzeptieren. Der deutsche und der französische Außenminister hatten dafür plädiert, und kurz vor Abschluss der Beratungen hatte der deutsche Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) noch einmal eindringlich gewarnt: „Wir brauchen keinen europäischen Außenminister, wenn Europa wegen des Einstimmigkeitsprinzips beschlussunfähig ist.“

Ist das neue Amt damit nur ein „Alibi“, wie der CDU-Rechtsexperte Rupert Scholz meint? Was auch immer, die Briten haben sich nicht erweichen lassen, und so soll das Thema Mehrheitsentscheidungen Thema der Regierungskonferenz werden, die ab Mitte Oktober über den Verfassungsentwurf des Konvents berät.

Wann die Regierungschefs die Verfassung verabschieden, ist derzeit unklar. Zum einen zweifelt man in Brüssel, ob der umstrittene Ratspräsident Silvio Berlusconi in der Lage ist, die Verhandlungen effektiv zu leiten. Zum anderen haben zahlreiche Regierungen Änderungswünsche angemeldet. Wenn das Paket erst einmal aufgeschnürt ist, packen erfahrungsgemäß auch die anderen ihre Forderungen auf den Tisch. Irland, das den EU-Vorsitz am 1. Januar übernimmt, richtet sich schon einmal darauf ein, dass die Konferenz erst im März 2004 endet.

Juristen in Brüssel streiten darüber, ob der EU-Außenminister gewählt werden kann, sobald alle Regierungschefs den Verfassungsentwurf unterzeichnet haben, oder ob die Ratifizierung durch alle Staaten der EU abgewartet werden muss. Das würde wegen der Volksbefragungen in einigen Ländern etwa zwei Jahre dauern. Joschka Fischer, einem der möglichen Kandidaten, könnte das egal sein, denn die deutsche Legislaturperiode endet ebenfalls 2006.

Zu den positiven Ergebnissen der Konventsarbeit der letzten Tage zählt die Einschränkung der Politikbereiche, in denen die Staaten ein Veto einlegen können, von bisher 84 auf nunmehr 47. Das macht Entscheidungen nicht nur schneller, sondern auch billiger, denn bisher war es meist so, dass ein Land sich seine Zustimmung erkaufte. Spanien hat das bei der Strukturpolitik lange Jahre erfolgreich praktiziert. Wie in der Außen- und Sicherheitspolitik bleibt es jedoch in der Verfassungspolitik, der Steuer- und Haushaltspolitik und in den Bereichen Justiz und Polizei bei der Einstimmigkeit.

Die Mitglieder des Europaparlaments freuten sich bei der gestrigen Feier vor allem über ihren vorgesehenen Machtzuwachs. Auf 92 Politikfeldern soll ohne das Parlament kein Gesetz mehr beschlossen werden können.

Der Text ist also fertig. Fast. Denn es kann sein, dass Giscard d’Estaing noch ein paar Formulierungen ändert. Er will „einen schönen Text“, und daheim auf seinem Schreibtisch liegen schon 900 Anmerkungen der Académie Française zur sprachlichen Verfeinerung des gesamten Pakets.