Holzlatrinen zwischen Edelhütten

„Ärzte ohne Grenzen“ hat auf dem Potsdamer Platz ein Flüchtlingscamp errichtet. Die Ausstellung vermittelt einen Eindruck davon, wie Millionen Menschen leben müssen

Es ist ein effektives System. Karteikarten ausfüllen, Spritzen aufziehen und auf einen Kühlakku legen, impfen. Die Ärzte ohne Grenzen sind geübt darin, in kürzester Zeit möglichst vielen Menschen zu helfen. Ein eingespieltes Team von drei Mitarbeitern kann etwa 1.000 Kinder am Tag gegen Masern impfen. Jedes Jahr stirbt weltweit noch eine Million Menschen an dieser Krankheit, die durch eine Impfung vermieden werden kann.

Die Ausstellung „Überleben auf der Flucht: Das Flüchtlingslager zum Anfassen“ der internationalen Hilfsorganisation zeigt, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge und Vertriebene oft monate- und jahrlang leben müssen. Auf dem Potsdamer Platz sind Zelte, Krankenstationen und Holzlatrinen aufgebaut, die das Los von 40 Millionen Menschen weltweit anschaulicher machen.

Als Schirmherrin hat „Ärzte ohne Grenzen“ die Fernsehjournalistin Sandra Maischberger gewonnen. Angetan mit der Jacke der Hilfsorganisation, posiert sie für andere Journalisten und sagt, dass sie so endlich einen sinnvollen Job tue und alles gut finde, was auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam macht. Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen führen durch die Ausstellung und helfen Besuchern dabei, sich vorzustellen, wie das alltägliche Leben auf der Flucht bewältigt werden kann. Im Flüchtlingsdorf, mit den kleinen Zelten, sind die beengten Wohnverhältnisse zu sehen. Essen wird zugeteilt. Wenn die grundlegenden Lebensmittel – Mais, Getreide, Bohnen, Öl, Zucker und Salz – noch fehlen, gibt es eine proteinhaltige Kompaktnahrung. Sie schmeckt wie süße, krümelige Kekse, kann aber auch zu einem Brei verarbeitet werden.

Auch Wasser ist in den Camps oft knapp. Mit großem Aufwand wird versucht, ausreichend sauberes Wasser, etwa entsalztes und gereinigtes Seewasser, zu gewinnen. Trotzdem müssen die Flüchtlinge anfangs mit nur fünf Litern pro Tag auskommen – zum Trinken, Waschen und Kochen. Auch die Latrinen sind eine logistische Herausforderung. Sie dürfen nicht zu nah an Wasserquellen und Unterkünften gebaut werden, damit sich keine Krankheiten ausbreiten können.

Neben all diesen Notwendigkeiten, die das Leben in einem Flüchtlingslager wenigstens halbwegs ermöglichen, will Ärzte ohne Grenzen medizinische Hilfe leisten. Am meisten leiden die Kinder, sie drohen oft an Unterernährung zu sterben. Die Mediziner ermitteln mit einem einfachen Verfahren, wie ernst der Zustand der Kinder ist. Ein kleines Bändchen misst die Dicke des Oberarms. Bei besonders dünnen Ärmchen lässt sich das Band bis in den roten Bereich zusammenziehen. Diese Kinder kommen in eine Intensivpflegestation, wo ihnen alle zwei bis drei Stunden Nahrung über eine Sonde zugeführt wird.

Die Ausstellung auf dem Potsdamer Platz zeigt vor allem, dass es auch durch Nachbauten und Infotafeln nicht vorstellbar ist, in einem Lager mit über einer Million Menschen zu leben. Kein Vorwurf, denn wie glücklich sich jeder schätzen kann, nicht auf die Leistungen von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen angewiesen zu sein, vermittelt der Rundgang mit Sicherheit.

VERENA HEYDENREICH

Bis 11. Juni, Potsdamer Platz Ecke Stresemannstraße, täglich 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, gesonderte Führungen für Schulklassen auf Anfrage: www.aerzte-ohne-grenzen.de