Früher vor den Kapriolen der Natur warnen

Schäden durch Naturkatastrophen in den letzten vierzig Jahren rasant gestiegen. Experten: Warnsysteme ausbauen

MÜNCHEN taz ■ Die Uhr im Konferenzraum zeigt 11.55 Uhr, und diese Möglichkeit lässt Gerhard Berz nicht ungenutzt. „Sehen sie“, sagt er, „es ist nicht nur hier und jetzt 5 vor 12, sondern auch 5 vor 12, was die Entwicklung der Naturkatastrophen auf der Welt betrifft.“ Vor allem für die Versicherungswirtschaft, könnte man hinzufügen – denn Berz ist Leiter des „Geo-Risikofonds“ bei der Münchner Rück, einem der weltweit größten Rückversicherer.

Er kennt die Zahlen sehr gut, bei denen die Versicherungsbranche weltweit das große Zittern bekommt: Um das 14fache sind die Versicherungsschäden durch Naturkatastrophen in den vergangenen vierzig Jahren weltweit gestiegen, und da ist die Inflation schon abgezogen. „20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr erwarten wir für das nächste Jahrzehnt“, sagt Berz, was bedeutet, „dass wir davon ausgehen können, dass allein im Jahr 2010 genauso viel an Schadensersatz von den Versicherern gezahlt wird wie in den gesamten Achtzigerjahren.“

Es verwundert angesichts dieser Zahlen wenig, dass die Münchner Rück gemeinsam mit dem Deutschen Komitee zur Katastrophenvorsorge (DKKV) und der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität das „Forum Katastrophenvorsorge“ veranstaltet, bei dem bis morgen in München Experten insbesondere über Frühwarnungen diskutieren. Denn, da sind sich die Gelehrten einig, durch effiziente Frühwarnsysteme ließen sich die Ausmaße der Schäden bei Naturkatastrophen erheblich mildern.

Nur leider sei ein solches System nicht einmal in hoch entwickelten Ländern wie Deutschland annähernd ausgereift, merkte Prof. Erich Plate an, der als Experte für Wind- und Wasserschäden im wissenschaftlichen Beirat des DKKV sitzt. Zwar lieferten etwa die Wetterdienste ausreichend Daten, doch bei der Umsetzung in konkrete Maßnahmen hapere es. Dazu liefert Plate die Geschichte von der Überschwemmung des Dresdner Hauptbahnhofs während der letztjährigen Flut, die man durch ein paar Blicke auf Fluss- und Wasserverläufe in Stadt und Region lange im Voraus erkennen und verhindern hätte können.

Deutlicher wird noch das vom DKKV verteilte „Journalisten-Handbuch zum Katastrophenmanagement“, in dem der Politologe und Zivilschutzexperte Wolfram Geier beklagt, dass „die Bundesrepublik Deutschland über kein flächendeckendes, vernetztes Frühwarnsystem“ verfügt, das „umfassend Aufschluss über alle relevanten Katastrophenrisiken“ geben kann – obwohl das technische Know-how vorhanden sei.

Einen bundesweiten Datenpool würde auch Gerhard Berz von der Münchner Rück begrüßen, wünscht er sich doch vor allem eine sichere und möglichst aktuelle Berechnungsgrundlage für die Prämien der Versicherungen. Mal abgesehen davon, dass Gebiete, die dank verbesserter Voraussagen als extrem durch Naturkatastrophen gefährdet eingestuft werden, laut Berz „dann einfach nicht mehr versichert werden können“. Am besten sei es natürlich, „wenn diese Gebiete aufgrund der Ergebnisse erst gar nicht besiedelt werden“.

JÖRG SCHALLENBERG