verweigerung genretypischer erzählweisen: „chicken is barefoot“ im 3001
: Wütend von Ruhe erzählen

In der nördlich von Kyoto gelegenen Hafenstadt Maizuru gehen die Dinge ihren eigenen, ruhigen Rhythmus. Hier lebt der allein erziehende Mamoru als Taucher. Er möchte, dass sein geistig etwas zurückgebliebener Sohn Isamu in seine Fußstapfen tritt, also in die überdimensionalen Bleistiefel, mit denen er später am Grund der See herumlaufen soll. Gleich zu Beginn des Films sieht man die beiden an Bord bei den Vorbereitungen zum ersten Tauchgang Isamus. Es ist sein 15. Geburtstag, Zeit, endlich mit eigenen Beinen auf dem Meeresboden zu stehen. Vor Aufregung hat der Junge den morgendlichen Toilettengang vergessen, doch das Meer ist weit und geduldig, man braucht sich ja nur auf die Bordwand zu setzen.

Regisseur Azuma Morisaki nimmt sich viel Zeit, seinen Figuren bei ihren alltäglichen Verrichtungen zuzusehen. Mit leichter Hand entwirft Morisaki einen familiär-kommunalen Kosmos, in dem alle Figuren miteinander in Beziehungen stehen, die zugleich in steter Bewegung und Veränderung sind.

Wie eng die Maschen dieses sozialen Netzes sind, merkt man erst, als ein paar zwielichtige Gestalten aus der korrupten Sphäre der fernen Stadt in Maizuru auftauchen. Sie alle sind hinter belastenden Kontoauszügen her, auf die der mit einem fotografischen Gedächtnis begabte Isamu zufällig einen Blick geworfen hat. Nun ist er zum Gejagten geworden, und Mamoru und Naoko versuchen mit aller Kraft, ihn zu schützen.

Das kleine Wunder von „Chicken Is Barefoot“ ist nun die Souveränität, mit der Morisaki die eingefahrenen Gleise des Thriller-Genres meidet. Den Plot um einen Bestechungsskandal präsentiert er als lachhafte Farce, die Schurken als brutale Lakaien der Obrigkeit und alte Männer, die längst jede soziale Bindung verloren haben.

Konsequent bleibt der Film bei den von ihm geliebten Figuren um Isamu, die niemals nur dem Plot unterworfen sind, sondern ein anarchisches Eigenleben führen, die tanzen, seltsame Rituale aufführen, musizieren und sich Geschichten erzählen. Morisaki selbst, der seit Mitte der 70er Jahre als unabhängiger Regisseur arbeitet, bezeichnet seine Werke als „do-geki“, also wütende Filme. Auch in seinem 24. Film verspürt man etwas von dieser Wut, in seinem Engagement für ganz normale Menschen, in der Verweigerung genretypischer Erzählweisen. So ist ihm ein wunderbarer Film gelungen, der Mut macht wie der Schlachtruf von Mamoru und Isamu, wenn die Welt ihnen zu nahe rückt: „Chicken Is Barefoot!“ Volker Hummel

Do, 17.-23.6., 21 Uhr, 3001-Kino