Schmieriges Projekt vor Kurischer Nehrung

Umweltschützer machtlos: Der russische Konzern Lukoil darf ab Ende des Jahres in der Kaliningrad-Region Öl fördern

STOCKHOLM taz ■ Sie ist eines der biologischen Kleinode der Ostsee, die Unesco hat sie in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen: die Landzunge Kurische Nehrung, die sich von Litauens Hafenstadt Klaipeda über 100 Kilometer bis zum russischen Kaliningrad erstreckt. Das Naturparadies ist in Gefahr. Ende des Jahres will die russische Lukoil 22 Kilometer vor der Nehrung mit der Ölförderung beginnen. Die Ostsee ist ein seichtes Binnengewässer, in dem das Wasser nur langsam ausgetauscht wird. „Ein einziger Ölaustritt wäre die Katastrophe“, warnt Linas Vainius von der litauischen „Grünen Bewegung“. Er organisiert den Protest. Ein Dutzend litauischer Organisationen und Forschungsinstitute haben sich angeschlossen, ausländische Umweltschützer eine Protestresolution unterzeichnet.

Nur stehen sie auf verlorenem Posten: Litauens Regierung will sich nicht mit der mächtigen Lukoil anlegen. Moskau habe bestätigt, dass das Umweltrisiko zu handhaben sei, lautet die offizielle Position. Zudem liege die Ölbohrung an der Fundstelle D-6 „Krawtsowskoje“ 6 km von der litauischen Grenze entfernt in russischem Hoheitsgewässer – da habe Vilnius keinen Einfluss.

1987, noch zu sowjetischen Zeiten, war das anders. Der Bevölkerung und den lokalen Parteiorganisationen gelang es durch gemeinsamen Protest, D-6-Ölförderpläne zu stoppen. Damals machte das Kaliningrader Energiekombinat „Kaliningradmorneftegas“ in dem 1983 entdeckten Ölfeld Probebohrungen – gleich bei der ersten traten 70 Tonnen Öl aus. Die vergleichsweise kleine Menge verschmutzte 20 Kilometer Küste. Eine staatliche Forschungskommission kam zum Ergebnis: Das Projekt ist nicht sicher genug.

1995 kaufte Lukoil dann die Kaliningradmorneftegas auf – und damit die D-6-Ölförderlizenz. 25 Millionen Tonnen Öl sollen in der Blase unter dem Ostseeboden liegen. Über 30 Jahre sollen 70.000 Tonnen pro Jahr gefördert werden können. Das ist doppelt so viel wie zurzeit in der Kaliningrad-Region. Die frühere Einschätzung der sowjetischen Experten, das Umweltrisiko sei zu hoch, hält Lukoil für „überholt“.

„140 Tonnen Öl leckt eine Ölplattform bei ganz normalem Betrieb jährlich“, hat sich hingegen Linas Vainius von Experten ausrechnen lassen. Das meiste würde an den Stränden der Kurischen Nehrung landen. Dort wird es TouristInnen verjagen, Brutgebiete vieler Vögel und die gesamte Natur gefährden.

Bei Lukoil bestreitet man solch „natürlichen“ Ölaustritt nicht. Die Ölgesellschaft habe aber alle behördlichen Genehmigungen erhalten. Da ist nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, halten Litauens Grüne entgegen. Die Ölförderung widerspreche internationalen Abkommen zum Schutz der Ostsee, wie der „Agenda 21 für die Ostseeregion“ und der „Helsinki Konvention“. Matti Poutanen vom finnischen Umweltministerium bestätigt: „Diese großen Firmen in Russland können relativ souverän agieren.“ Sie hätten keine Schwierigkeiten, rechtliche Hindernisse zu überwinden.

Diese Woche wurde übrigens an den Kaliningrader Teil der Kurischen Nehrung Öl geschwemmt. „Mehr als 300 Kilogramm“ ist die offizielle Angabe, „40 Tonnen“ die der russischen Umweltgruppe Ecodefense. Die Lage sei „kritisch“, urteilte ein Verantwortlicher der Katastrophenschutzbehörde. Ecodefense behauptet, das Öl komme von einer Bohrplattform der Lukoil. Die Behörden vermuten die Ursache in dem im Mai vor Bornholm gesunkenen chinesischen Frachter „Fu Shan Hai“. Stichproben sollen jetzt den Ursprung klären. REINHARD WOLFF