Raus aus dem Knast, rein in die Demo

Nach den Göteborger Anti-EU-Krawallen verbrachte der Berliner Börn B. 16 Monate hinter schwedischen Gefängnismauern. Morgen demonstriert er wieder: vor der schwedischen und der italienischen Botschaft

„Ich bin kein Opfer. Knast war eine mögliche Konsequenz“, sagt Björn. Seine Neuköllner Wohnung ist spartanisch, aber modern eingerichtet. Neben dem Bett liegt ein Buch über Reflexzonenmassage und Nanni Balestrinis „Die Unsichtbaren“. Er arbeitet in einem linken Verlag, kümmert sich dort um Anzeigen und Veranstaltungen.

Zwei Jahre sind vergangen, erinnern kann er sich trotzdem noch gut. An die Festnahme im schwedischen Göteborg. Björn B., damals 24 Jahre alt, wurde am 16. Juli 2001 von Spezialeinheiten der Polizei stundenlang observiert und schließlich festgenommen. Zuvor hatte die zweitgrößte Stadt Schwedens die bislang schwersten Ausschreitungen in der jüngeren Geschichte des Landes erlebt.

Anlässlich eines EU-Gipfel waren fast 20.000 Demonstranten angereist. Attac, Gewerkschafter und kommunistische Gruppen protestierten drei Tage lang gegen Neoliberalismus und die Festung Europa. Ebenfalls dabei waren militante Linksradikale – die Behörden rechneten 500 Personen zum schwarzen Block. Auch Björn, der mit dem Auto aus Berlin gekommen war.

Die Anklage warf ihm vor, sich vermummt, behelmt und mit einem Stock bewaffnet an Angriffen auf Polizisten beteiligt zu haben. „Wenn mich ein Polizist schlägt, wehre ich mich“, sagt er. Dass er bei den Krawallen dabei war, leugnet er nicht. Trotzdem sei er für Sachen verurteilt worden, die er nicht begangen habe. Seine Verurteilung beruht auf der Aussage eines Zivilpolizisten, der in sieben weiteren Verfahren Zeuge der Anklage war.

Geduldig zeigt und erklärt Björn Fernsehmitschnitte der Auseinandersetzungen. Die schwedischen Behörden waren sichtlich überfordert. Über 20 Personen aus halb Europa wurden zu Haftstrafen zwischen 6 Monaten und 2 Jahren verurteilt. Der öffentliche Druck war groß. Auf „valdsamt upplopp“ – gewaltsamen Auflauf – stehen bis zu zehn Jahre Knast. Die schwedischen Strafen waren nicht nur die härtesten im Zusammenhang mit Anti-Globalisierungs-Protesten. Während der Proteste hatte die Polizei auch scharf geschossen. Zwei Jugendliche überlebten schwer verletzt. Die Richter der zweiten Instanz korrigierten auch Björns Urteil nach oben. Zwei Jahre geschlossener Vollzug. Freunde sammelten Spenden, schickten Pakete und organisierten Besuche.

Vier Wochen später starb Carlo Giuliani im italienischen Genua bei Krawallen durch einen Kopfschuss. Über 250.000 Menschen demonstrierten dort gegen den G-8-Gipfel. Einige von ihnen gehen morgen – am zweiten Todestag Giulianis – in Berlin auf die Straße. Sie fordern die Freiheit der verbliebenen Gefangenen von Göteborg und Genua.

Am 17. Oktober letzten Jahres wurde Björn entlassen. Er hatte 16 Monate – genau zwei Drittel seiner Strafe – abgesessen. Den größten Teil in einer Vollzugsanstalt für Schwerstkriminelle außerhalb Göteborgs. „Fluchtgefahr“, hieß es bei Gericht. „Durch die Medien kannten viele Häftlinge meinen Fall, ich hatte ein hohes Ansehen“, erzählt er. Problematisch seien die Besuche der Eltern gewesen. Reise und Unterkunft waren nicht billig. Sein Vater ist seit Jahren arbeitslos, die Mutter Krankenpflegerin. Die Familie wohnt in Schöneberg. Hier ging Björn zur Schule, brach ab, engagierte sich in zahlreichen Antifa-Gruppen und zog nach Friedrichshain in ein besetzes Haus. Politik wurde ihm immer wichtiger. Nebenbei arbeitete er in einem Kinderladen, später als Kurier und Hilfskraft.

Bei der morgigen Demo wird er dabei sein. Auch bei weiteren Gipfelprotesten? „Ja, ich glaube schon.“ HANNES HEINE

Die Demo „Von Göteborg nach Genua“ beginnt um 14 Uhr an der Botschaft Italiens, Hiroshimastraße 1, und führt zur schwedischen Vertretung