Männerfantasien

Nicht mal mehr mit Bier zu harmonisieren: Jochen Neumeyers Romandebüt „Sommerstarre“

Wer ficken will, muss freundlich sein. Nein, darum geht es nicht in diesem Buch. Wer sich rar macht, steigt im Wert. Nein. Was weg ist, ist weg! Ja, so kann man das sagen, ja, darum geht es! Nur müsste man diese Weisheit freilich etwas komplizierter oder zumindest eleganter verkaufen als der 1972 geborene Jochen Neumeyer in seinem Debüt „Sommerstarre“.

So nichts sagend wie Neumeyers Lebenslauf, der aus Schreibversuchen für Magazine und die Deutsche Presse-Agentur besteht und den man einer eigens für dieses Buch angelegten Internetseite entnehmen kann, so nichts sagend ist auch der seines Protagonisten. Jens ist Journalist für die Regionalseiten des „Kurpfalz-Boten“ aus Mannheim und hat damit seinen Traum verwirklicht: vom Schreiben leben zu können. Nur sieht die Wirklichkeit bekanntlich anders aus. Aus Werbefaxen destilliert er Zeitungsartikel. Und abends geht er heim, macht den Fernseher an und wichst. Immerhin, noch kann er mit einer 20-Jährigen knutschen, „ohne dass jemand komisch guckt“.

Bei Neumeyer ist es kein Fax wie damals bei Stuckrad-Barres „Soloalbum“, sondern eine Mail, die den Helden aus seinem Alltag reißt. Ein länger verschollener Jugendfreund teilt ihm den Tod seiner einstigen großen Liebe mit. Da kommt Jens ins Grübeln über Vergangenes. Er erinnert sich, wie Janine und er zusammen nach Berlin zogen, eine kleine Meinungsverschiedenheit sie auseinander brachte und er sie später mit seinem Freund Anders im Kaffee Burger Hand in Hand erwischte.

Nun ist die Freundin bei einem Tauchunfall ums Leben gekommen, und die ehemaligen Freunde treffen sich wieder, um das Unglück gemeinsam am Unfallort auf Sizilien zu verarbeiten. Die Geschichte von einer „gescheiterten Freundschaft, ertrunkenen Liebe und zaghaften Momenten des Glücks“ hätte tatsächlich lakonisch, direkt, melancholisch und zart ausfallen können, wie der Verlag sich das in einer Ankündigung wünscht – nur: „Sommerstarre“ ist die reine, miefige Männerfantasie. Der Roman verweist immerhin auf eines: Der jungen deutsche Literatur fehlt der Stoff. Die Schreibschulen vermitteln Stil, aber keine Erfahrung. Dass man nicht auf ein langes, intensives Leben zurückblicken muss, um gute Literatur zu schreiben, hat die Popliteratur bewiesen.

Doch gerade die männlichen Jungautoren, die nichts zu sagen haben, versuchen es inzwischen wieder mit dem Existenzialismus. Oder orientieren sich an Houellebecq und Hemingway. Köpfe müssen rollen, Sex muss krachen, Männerfreundschaften müssen beschworen werden. Wenn aber so ein Freund wie Anders in „Sommerstarre“ einfach nicht mehr einzuschätzen, sein Verhalten befremdlich und auch mit Bier nicht zu harmonisieren ist, bekommt man natürlich Angst. Oder man verzweifelt. Man hat fortan weder den richtigen Songtext zur schwierigen Lebenssituation parat, noch kann man mit Haltung einen Puff verlassen.

Jens und Anders entfremden sich vollends, wo sie doch sowieso schon zwei Jahre keinen Kontakt mehr hatten – für echte Männer aber keine Zeit. Gefährtentum ist bekanntlich ohne Raum und Zeit und eine präpotente Zumutung für alle, die auch nur mit einem Hauch von Ironie durchs harte, entfremdete Leben laufen.

GUSTAV MECHLENBURG

Jochen Neumeyer: „Sommerstarre“. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2004, 6,50 Euro