Ich & die Homo-Norm

Ich bin ja leider nur halb butch. Das ist mein großes Leid. Keine muskulösen Oberarme, keine 1,80 groß, und Bälle werfen habe ich auch nur unter großen Mühen gelernt. Ich habe es wirklich versucht: mit Schwimmen und Ballsport. Auch Männerhemden habe ich mir gekauft. Aber bei den Hemden fing es schon an: hoffnungslos zu groß. Ich sollte einfach nicht sein, was ich sein wollte.

Ich glaube, mein Vater ist daran schuld. Mein Vater ist kein Sportler. Also hatte ich im erwachsenen Lesbenalter ein Entwicklungsdefizit. „Was?! Du weißt nicht, was eine Torwand ist?!“, wurde ich mal entsetzt gefragt, als ich auf eine mysteriöse Bretterwand mit zwei kreisrunden Löchern zeigte. „Hat dich dein Vater nie mit zum Fußballplatz genommen?!“ Nee, hat er nicht. Mein Vater hat immer Bücher gelesen, und ansonsten konnte er ziemlich gut Witze erzählen. Außerdem hat er mir Stricken beigebracht.

Aber mit Stricken kommt man als Butch ja nicht weiter. Wenn ich erzähle, dass ich noch Pullover gestrickt habe, als andere schon längst an ihrem Coming-out bastelten, dann sehen mich manche an, als würde ich mit meinem Kurzhaarschnitt falsche Tatsachen vorspiegeln. Gefährlich kurz sind meine Haare – obwohl, die Seiten an den Ohren sind spitz geschnitten. Schon daran kann man sie ja angeblich unterscheiden – die Echten von den Unechten.

Unter den Echten gehöre ich zu den Unechten, das ist mein Los. Einmal habe ich in trautem Butchkreise gewagt, ein Tuch um den Hals zu tragen. Draußen waren immerhin zehn Grad minus, und ich hab’s immer schnell an den Bronchien! Außerdem war das Tuch schwarz, mit – okay – ein paar Fransen. Aber es galt keine Entschuldigung, ihre Blicke trafen mich wie der Lightsaber-Strahl der Jedi-Ritter. „Ein Tussi-Tuch!“, zischelten sie (die Blicke). „Wie kann Butch nur!“ Ich zog beschämt von dannen.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich keinen Bruder gehabt habe. Von älteren Brüdern haben eine Menge Butches, die ich kenne, viel gelernt. Werfen zum Beispiel, das leidige Thema. Ich dagegen musste mein eigener Bruder sein. Bin einsam auf Bäumen rumgeklettert, hab mir von Schuljungs abgeguckt, wie man coole Schiffe krakelt. Ansonsten hatte ich schlechte Karten: Jungs wollen eben nicht mit Mädchen spielen. Das hab ich schon im Sandkasten gelernt. (Na ja, war vielleicht auch kein großer Verlust, die wollten sich einen Panzer bauen.)

Besonders schlimm ist es, wenn man als Butch nur ein klappriges Damenfahrrad besitzt. Es ist einfach hoffnungslos uncool, so zum Lesbensport zu radeln. Fährt man durch die Straßen und guckt sich andere Butches auf ihren Rädern an, wird noch nicht mal zurückgegrüßt. In dieser Hinsicht war mein erstes stahlblaues Herren-Mountainbike quasi eine Eintrittskarte – zu den Butches der Straßen. Es weiß ja keine, dass ich es nicht selbst reparieren kann.

Inzwischen ist die Frage nach dem Butchsein in den Hintergrund getreten. Vielleicht liegt es an meiner fortschreitenden Reife oder daran, dass ich seit einiger Zeit eine Freundin habe. Meine Freundin steht auf Halb-Butches. Sie ist in der Lage, auch die Nuancen einer Persönlichkeit wahrzunehmen.

„Ach, bin ich froh, dass du nicht so butch bist“, sagt sie manchmal – vorzugsweise wenn ich sie beim Foxtrott führen lasse. Ich fühle mich dann stolz wie einer der neuen Väter, die ihren Nachwuchs durch den Park schieben. Und selbst brülle ich inbrünstig: „Iiih, bist du butch!“, wenn meine Freundin kaltblütig einen Barsch in unserem Kanu killt (sie guckt dann allwissend).

Butchsein, zu diesem Schluss komme ich immer mehr, ist eine innere Angelegenheit, keine äußere. Einmal in meinem Ballsportverein schrie eine: „Wow! Martina ist die einzige Butch von uns allen!“ Das fand ich fies. Bin ich denn etwa keine?

FRIEDERIKE WYRWICH