Vier auf eine Lehrstelle

In Berlin und Brandenburg fehlen über 30.000 Lehrstellen. DGB befürchtet Ausbildungskatastrophe bisher ungekannten Ausmaßes und drängt auf eine Kostenbeteiligung durch Betriebe ohne Lehrlinge

von NICOLAI KWASNIEWSKI

„In Berlin und Brandenburg gibt es nicht mehr die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Berufswahl, sondern eine Zwangsberufswahl.“ Laut DGB-Landesvize Bernd Rissmann ist das eine „Ausbildungskatastrophe bisher ungekannten Ausmaßes“. Als Schulabgänger „muss man nehmen, was man kriegen kann“.

Laut DGB fehlen in der Region 39.504 echte betriebliche Ausbildungsplätze. Zwar stecken die Länder Berlin und Brandenburg 50 bzw. 60 Millionen Euro jährlich in die Förderung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze, aber „die Grenze ist erreicht“, so Rissmann. Angesichts leerer Kassen könnten sich die Länder die subventionierten Lehrstellen, etwa in der Verbundausbildung, nicht mehr leisten.

Gleichzeitig sind die Zahlen der betrieblichen Ausbildungsplätze weiter gesunken, in Berlin stehen für 26.760 Bewerber nur 9.605 Lehrstellen zur Verfügung, in Brandenburg warten sogar 30.107 Bewerber auf eine der 7.758 Stellen – selbst wenn alle Stellen besetzt würden, bleiben somit rund 30.300 Bewerber auf der Straße. Das Problem verschärft sich von Jahr zu Jahr, denn unter den Bewerbern sind schon heute 40 Prozent Jugendliche, die in den vergangen Jahren in Ersatzmaßnahmen untergekommen waren. „Wir schieben derzeit eine Bugwelle von Altnachfragern vor uns her“, sagte Rissmann. Er kritisierte die Wirtschaft, die schließlich ein Versprechen abgegeben habe, mehr Ausbildungsstellen zu schaffen. Er sei immer optimistisch gewesen, dass sich die Situation bessere, die Hoffnung habe sich allerdings „als trügerisch erwiesen.“ Dabei müssten nicht einmal alle Ausbildungsunternehmen mehr Auszubildende einstellen, als sie benötigten. Würde jedes Unternehmen sowie der öffentliche Dienst zumindest für den eigenen Bedarf ausbilden, wäre das Lehrstellenproblem gelöst.

Der DGB-Landesvize appellierte deshalb an die Wirtschaft, eine „solidarische Finanzierung“ zu entwickeln. Konkret forderte er eine Ausbildungsumlage oder einen Fonds „für eine gerechtere Lastenverteilung“ zwischen den Ausbildungsbetrieben und den Unternehmen, die keine Lehrlinge haben. Nur 30 Prozent der Unternehmen bildeten aus, die anderen profitierten von den Fachkräften. Zwar haben nur gut die Hälfte der Unternehmen überhaupt eine Lehrberechtigung, aber auch die Bundesregierung fordert in ihrer Agenda 2010 eine gerechtere Verteilung der Ausbildungskosten auf alle Betriebe. Sollte die Wirtschaft trotz anhaltenden Lehrstellenmangels bis zum 30. September so eine Regelung nicht selber finden, werde eine gesetzliche Regelung kommen, heißt es in der Agenda 2010.

Rissmann kündigte an, die Bundesregierung unter Druck zu setzen, sollte die nicht handeln: „Der Bundeskanzler ist der Jugend gegenüber in der Verantwortung.“ Gleichzeitig kündigte Rissmann an, dass die Gewerkschaften die Lehrstellenfrage in die Tarifrunden mit aufnehmen und die Arbeitgeber zu festen Zusagen verpflichten werden.

Für die Region geht Rissmann davon aus, dass bis zum Jahresende in Berlin noch 5.000 Jugendliche ohne Lehrstelle bleiben, in Brandenburg weitere 3.000. Gleichzeitig befürchtet er, dass noch mehr Jugendliche auf der Suche nach einer Lehrstelle in andere Bundesländer abwandern werden. Im letzten Jahr gingen 10.000 Jugendliche aus Berlin, 6.000 aus Brandenburg weg. Es seien, so Rissmann, gerade die immer geforderten flexiblen, intelligenten jungen Menschen, die weggingen. In Brandenburg käme es „zu einer Vergreisung der Kommunen“. Rissmann warnte zudem vor einem Nachwuchsmangel in der Zukunft. Schon 2006 könnten auf Grund geburtenschwacher Jahrgänge den Unternehmen junge Fachkräfte fehlen. Dann gebe es einen erneuten Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte.