Zaster für die Alten

Die „Generation Teneriffa“ hat ihre Rente redlich verdient. Statt wieder die Rentner zu schröpfen, sollte der Staat sich lieber bei Hedonisten und reichen Erben bedienen

Die Forderung nach Verteilung der Arbeit ist nicht falsch, nur weil sie so altlinks erscheint

Da fliegt also ein junger Mann in Urlaub, und schon trifft er auf das neue Feindbild: die „Generation Teneriffa“, jene braun gebrannten, nichtsnutzigen Alten, die sich einst im Arbeitsleben „Löhne abseits jeder Produktivitätsentwicklung“ genehmigten, im Rentenalter die Solidarkassen ausbeuten und damit die Republik in Richtung Staatsbankrott führen. Über Jahrzehnte, klagt die Jugend, hätten die egoistischen Alten nur an sich gedacht, statt das Feld für die Zukunft zu bestellen. Also fordern die Jungen jetzt: Her mit dem Zaster, Opa!

Gerecht ist das nicht, denn bei den Seniorinnen und Senioren muss man genau differenzieren. Aber Gerechtigkeit ist in diesem Land ein Auslaufmodell. Sonst würde endlich jemand den Mut finden, der All-inclusive-Generation der zukunftsängstlichen Jungen zu sagen, dass ihre Großeltern in jungen Jahren viel mehr Grund zum Jammern hatten als sie, dafür aber deutlich mehr Optimismus und vor allem weniger Ansprüche. Und wer redet von der Zwischengeneration? Warum ist es Tabu, die Generation der 40- bis 60-Jährigen zu belasten, unter ihnen zuallererst die Hedonisten und die Erben?

Nur eines spricht dafür, den Alten an den Geldbeutel zu gehen: Dieser Weg ist der des geringsten Widerstands. Nachdem sie den Riester-Abschlag von jährlich einem halben Prozent bis 2010 ohne Murren hingenommen haben, soll 2004 eine Nullrunde folgen, ein Nachhaltigkeitsfaktor eingebaut und der Anteil der Rentner am Krankenversicherungsbeitrag erhöht werden. Was noch? Gesundheitsökonomen überlegen, wie man den Alten einigermaßen human die Zustimmung abringen könnte, künftig auf bestimmte medizinische Leistungen vom 75. Lebensjahr an zu verzichten. Zur Not werden die Senioren klaglos auch wieder schneller sterben. Sie, die im und nach dem Krieg aufgewachsen sind, sind Zumutungen gewohnt.

Tatsächlich sind die Vorwürfe der Jungen unbegründet:

1. „Die Alten“ gibt es nicht, und schon gar nicht „die reichen Alten“. In den alten Bundesländern zahlte die Bundesanstalt für Angestellte 2001 im Durchschnitt eine monatliche Altersrente von 1.144 Euro für Männer. Jeder zweite Rentner muss mit weniger als 900 Euro auskommen, sie haben in der Regel keinerlei Nebeneinkünfte aus Miete und Kapital. Frauen haben durchschnittlich 670 Euro, die Hälfte der Empfängerinnen weniger als 450 (im Osten 1.061 und 635 Euro). Die Renten der Arbeiter liegen noch niedriger als die der Angestellten. Die gesetzliche Höchstrente von monatlich 1.951 Euro erhalten gerade mal 0,4 Prozent der Ruheständler.

2. Den Pensionären dagegen geht es deutlich besser. Ohne hier eine Neiddebatte anzetteln zu wollen: Die durchschnittliche Rente beträgt knapp 800 Euro brutto, die durchschnittlichen Versorgungsbezüge, mehr als 2.500 Euro, müssen allerdings versteuert werden. Das Altersruhegeld bei vergleichbaren Berufskarrieren liegt bei Pensionären um 30 bis 40 Prozent über dem der Rentner, weil Pensionen sich aus den Einkünften der letzten drei Berufsjahre errechnen.

3. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung teilt das Gejammere der Jungen über hohe Kassenbeiträge, niedrige, weil steuerbelastete Einkommen und düstere Zukunftsaussichten nicht: „Die verfügbaren Einkommen der Erwerbstätigen werden – trotz steigender Beitragssätze – im Jahr 2035 die heutige Höhe vermutlich weit übersteigen.“ Den Jungen wird es also, jedenfalls durchschnittlich, immer besser gehen. So war das auch bei den Alten, aber sie starteten auf wesentlich niedrigerem Niveau.

4. Dass die heutigen Alten sich überhöhte Löhne genehmigt hätten, ist Unsinn. Als sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren malochten, auch samstags und 48 Stunden pro Woche bei drei Wochen Jahresurlaub, behielten die Unternehmen den großen Teil der Zuwächse. In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es dafür einen bescheidenen Ausgleich. Unterm Strich lag und liegt das Wachstum der Produktivität über dem der Löhne.

5. Der Kern des Problems sind die Ansprüche. Die selbstverständliche Parole der jungen Leute von heute heißt: Ich will alles, und zwar sofort. Doch: Die Zeiten sind andere. Omas und Opas sehen das auch, weshalb sie ihren Enkeln gern etwas zustecken für das neue Auto, die Miete des Studentenzimmers oder den Urlaub. Die Alten haben gelernt, ohne Cabriolet, Loft und Sushi zu überleben. Sie haben das Geld ausgegeben, das sie verdienten, nicht das Geld anderer Menschen.

6. Auch wenn die forschen Abstauber von heute es nicht hören wollen: Die Alten haben Jahrzehnte eingezahlt, und dafür ist ihnen versprochen worden: „Die Renten sind sicher.“ Nicht eingezahlt haben die Bürger aus den neuen Bundesländern. Das kann ihnen niemand vorwerfen, wie auch niemand Norbert Blüm vorwerfen kann, dass sein Bundeskanzler die Rücklagen der Rentenkassen für die Wiedervereinigung verpfändet hat. Also dürfen jetzt nicht diejenigen büßen, die nur den Karren gezogen, nicht gesteuert haben.

7. Wer die Alten zur Kasse bitten möchte, muss auch seine Einstellung zur Vermögen- und zur Erbschaftsteuer hinterfragen. 25.000 neue Millionäre leben 2003 in diesem Land, und den Opa und die Oma mit dem dicken Konto gibt es auch. An deren Vermögen trauen sich die Alte-Leute-Schröpfer jedoch nicht ran, ob sie nun Lührmann heißen oder Metzger. Weshalb die Scheu gegenüber den wirklich reichen Alten? Weil der Verwaltungsaufwand zu hoch sei, heißt es. Wir verzichten also auf Gerechtigkeit, weil sie nicht ökonomisch ist? Vielleicht verzichten wir aber auch darauf, weil die öffentliche Meinung in dieser Frage auf eigennützigen Überlegungen künftiger Erben ruht.

Zur Not werden die Senioren klaglos auchwieder schnellersterben

8. Bis 67 arbeiten? Und wieder 40, gar 42 Stunden pro Woche? Da rümpfen die Jungen die Nase. Das allerdings zu Recht, solange das Finanzproblem damit auf die Bundesanstalt für Arbeit verschoben wird. Das Versprechen, wenn Arbeit billiger werde, entstünden auch neue Jobs, beruht wieder einmal auf dem Prinzip Hoffnung. Warum nicht etwas Neues versuchen? Neue Arbeitsplätze entstehen, wenn länger an Jahren, aber kürzer pro Woche und ohne „freiwillige“ unbezahlte Überstunden gearbeitet wird. Das könnte die Arbeitslosenzahlen und damit die Lohnnebenkosten senken. Kürzere Wochenarbeitszeiten und mehr Teilzeitarbeit bedeuten allerdings finanziellen Verzicht. Der Gewinn liegt in einem Mehr an Lebensqualität, wenn Eltern sich Berufs- und Hausarbeit besser teilen, übrigens auch für die Kinder, die endlich ihre Väter wiederhätten und zufriedenere berufstätige Mütter. Das Recht dazu haben wir, aber wir müssen es einfordern.

Fazit: Es gibt Alternativen zum Schröpfen der Alten. Die Forderung nach Verteilung der Arbeit ist nicht falsch, nur weil sie so altlinks erscheint. Sie senkt die Lohnnebenkosten und bedeutet Gerechtigkeit, sie erfordert aber die Bereitschaft der Jungen zum Teilen. Für Teneriffa wird’s trotzdem noch reichen.

PETER KÖPF