Marco Bechis‘ Film „Junta“ über die Militärdiktatur in Argentinien läuft in dieser Woche an
: Keine Träne für das Grauen

Fünf Jahre musste Marco Bechis warten, bis sein Film Junta, die Aufarbeitung des Schicksals der 30.000 Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur, auch in Hamburg anlaufen kann. Obwohl der Film mit Preisen wie „Un certain regard“ in Cannes überhäuft wurde und die Parallelen zur Deutschen Geschichte offensichtlich sind, fand sich mit Flax Film erst jetzt ein Verleih für Deutschland.

Angelehnt an eine wahre Geschichte erzählt Bechis das Schicksal der jungen Oppositionellen Maria, die im Jahr 1978 von der Geheimpolizei verschleppt wird: In einer zum Folterkeller umfunktionierten Autowerkstatt trifft sie auf ihren Mitbewohner Felix, der hier als Verhörspezialist arbeitet. In der Hoffnung auf Befreiung lässt sich die Studentin auf die zuvor zurückgewiesenen Annäherungsversuche ihres Peinigers ein. So entwickelt sich aus der Gefangenen-Wärter-Beziehung ein pervertiertes Liebes- und Besitzverhältnis.

Bechis portraitiert ein hoch technisiertes System der Barbarei, das sich abgeschirmt vom scheinbar normalen Alltag der Menschen entwickelt hat: Mitten in Buenos Aires wurden in Kellern und stillgelegten Industriegeländen Folterkammern und Konzentrationslager eingerichtet. Diesen Kontrast setzt der Regisseur künstlerisch durch eine metaphorische Kollision der Stile um: Während die Lagerszenen durch natural light und Handkamera fast dokumentarisch wirken, erscheint die spielfilmhaft inszenierte Atmosphäre an der Oberfläche fast surreal.

Die detailierte Schilderung der Lager entspringt nicht der reinen Phantasie, sondern den persönlichen Erfahrungen des Regisseurs: „Ich war 20 Jahre alt, Grundschullehrer und linker Aktivist. Wie Maria wurde ich von vier Zivil-Soldaten gefangen genommen und in eins der 365 geheimen Todeslager gesteckt. Ich blieb dort zehn unendlich lange Tage, mit verbundenen Augen der Folter ausgesetzt. Dann wurde ich in ein Gefängnis verlegt.“

Eine Erinnerung, die dem Zuschauer vor allem akustisch vermittelt wird. Ständig werden die Szenen von scheinbar harmlosen Nebengeräuschen untermalt, die sich im Kontext der Lagersituation zu einem grauenhaften Gesamtbild vereinen: Ein Tischtennisball klackt, wenn sich die Wärter die Zeit vertreiben, Fußketten klirren, sobald sich die Gefangenen regen, und das Radio plärrt, wenn die Schreie der Gefolterten übertönt werden sollen. Bechis verzichtet weitgehend auf offene Gewaltszenen, er zeigt Räume, Wärter, Instrumente und Infrastruktur des Terrors. So wirkt die grausame Schilderung staatlicher Gewalt meist ruhig, fast ein wenig kühl.

Der Regisseur versucht nach eigenen Angaben bewusst, eine melodramatische Stimmung zu vermeiden: „Wenn ich als Zuschauer weine, dann erleichtert mich das. Wenn ich dann das Kino verlasse, fühle ich mich geradezu befreit. Ich will den Zuschauer aber nicht befreien. Ich will verhindern, dass die Tränen den Verstand vernebeln.“

Welche Reaktionen der Film im Land der Täter und Opfer hinterlassen hat, ist leider kaum zu beurteilen. „Fast überall lief der Film sehr gut, doch in Argentinien blieben die Kinos leer. Das Video aber war nach kurzer Zeit ausverkauft. Viele Leute haben immer noch Angst und wollen sich nicht öffentlich mit ihrer Geschichte auseinander setzen.“

Bechis glaubt, dass die Aufarbeitung des Themas gerade erst richtig begonnen hat: „Es brauchte 20 Jahre und eine Wirtschaftskrise, um einen Prozess der politischen Weiterentwicklung wieder anzustoßen. Wie in den 60ern in Deutschland, ist es die Generation der 20 Jährigen, die jetzt die Fragen stellt.“

Schlüssige Antworten gibt es wenige. Die Mitglieder des Militärregimes sind generalamnestiert. Jakob Kirchheimer

O.m.U., täglich, 20.30 Uhr, 3001