Die Generäle haben schon gesiegt

Nach einer zweimonatigen Offensive des indonesischen Militärs ist der Krieg in Aceh noch nicht entschieden. Dennoch ist die Aktion für die Generäle ein Erfolg. Sie stärkten ihre Macht und blockierten Versuche, das Militär ziviler Kontrolle zu unterstellen

„Die Militäroperation kann ein Jahr, zwei Jahre oder gar zehn dauern“

aus Jakarta SVEN HANSEN

Zwei Monate nach Beginn der Offensive des indonesischen Militärs in der Unruheprovinz Aceh ist ein Ende der Kämpfe nicht in Sicht. Nach Angaben des Militärs wurden vom 19. Mai bis 18. Juli in der Provinz an der Nordwestspitze Sumatras 492 Rebellen und Unterstützer der separatistischen „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) getötet. Weitere 992 seien gefangen worden oder hätten sich ergeben. 43 Militärs und Polizisten seien getötet worden.

Die von den 30.000 Soldaten und 10.000 Polizisten kontrollierten Gebiete Acehs sind inzwischen auffällig mit rot-weißen indonesischen Fahnen beflaggt. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die GAM offenbar nicht entscheidend geschwächt wurde. Die Rebellen, die vor der Offensive auf bis zu 5.000 geschätzt wurden, kämpfen seit 1976 für einen eigenen Staat. Eine genaues Bild der Kräfteverhältnisse in der öl- und gasreichen Region ist nicht möglich.

Unabhängigen Beobachtern wie Diplomaten oder ausländischen Journalisten wird seit dem 18. Juni der Zutritt nach Aceh verwehrt. Nichtregierungsorganisationen unterliegen der Kontrolle des Militärs. Zwar berichten einheimische Journalisten aus der Provinz von der Größe Bayerns. Doch dürfen sie nicht die GAM zitieren. Eine Einbettungsstrategie, drakonische Dekrete, Drohungen und nationalistische Appelle sollen die Medien auf Linie bringen. Sie werden auch von der GAM nicht verschont. Seit drei Wochen halten Rebellen ein Fernsehteam als Geiseln.

Indonesiens Öffentlichkeit scheint den Feldzug gegen die GAM zu billigen oder ihm gleichgültig gegenüberzustehen. Während im Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung zehntausende gegen das Töten von Muslimen in den US-Kriegen in Afghanistan und Irak protestierten, herrscht jetzt Schweigen. Dabei forderte der Konflikt seit 1976 bereits 12.000 Todesopfer. Ein am 9. Dezember geschlossener Waffenstillstand hatte Hoffnung geweckt. Doch Kriegsrecht und Militäroffensive setzten dem am 19. Mai ein Ende.

Die Angaben über zivile Opfer beim größten Einsatz des indonesischen Militärs seit der Osttimor-Invasion 1975 sind widersprüchlich. Laut GAM sind die meisten getöteten Rebellen Zivilisten. Das Militär führt bei seinen Bodycounts keine zivilen Opfer auf. Lokale Menschenrechtsorganisationen sprachen nach vier Wochen von über hundert getöteten Zivilisten. Überprüfen lässt sich keine Angabe.

Sozialminister Bachtiar Chamsyah sagte am 6. Juli, die Offensive habe 48.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Inzwischen sind es nach Regierungsangaben 40.850. Berichten zufolge soll in einigen Gebieten das Militär die Bevölkerung vertrieben haben, um der GAM Unterstützung zu entziehen. Das Magazin Tempo berichtete, dass in Zentralaceh aus javanischen Einwanderern bürgerwehrartige Milizen gegen die GAM gebildet wurden. 535 Schulen wurden abgebrannt, wofür sich Rebellen und Militärs gegenseitig verantwortlich machen.

Berichte von Massengräbern durch die staatliche Menschenrechtskommission Komnas HAM verärgerten die Militärs. Dabei hatte Komnas HAM nur unabhängige Untersuchungen gefordert. Die Kommission, deren Arbeit in Aceh stark eingeschränkt ist, kritisiert das Militär. „Die Offensive ist gescheitert, weil viele Opfer Zivilisten und Nichtkombattanten sind“, sagte der Leiter der Aceh-Abteilung von Komnas HAM, Muhammad Mu'tashim Billah, der Jakarta Post. Er forderte beide Seiten zu neuen Verhandlungen auf.

Das Militär versucht zumindest symbolisch, frühere Fehler zu vermeiden. So wurden vergangenen Samstag drei Soldaten von einem Militärgericht wegen Vergewaltigung acehnesischer Frauen zu zweieinhalb bis dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil dürfte wegen des geringen Strafmaßes in Aceh jedoch kaum Eindruck machen.

Die Siegesmeldungen des Militärs waren voreilig. Hatte Militärchef Edriartono Sutarto behauptet, seine Soldaten hätten Aceh zu „100 Prozent unter Kontrolle“, sprechen die Militärs jetzt nur von 75 Prozent und denken über die Verlängerung des auf sechs Monate angelegten Kriegsrechts nach. Edriartano sagt: „Ich bin sicher, dass es nicht in sechs Monaten vorbei ist. Die Militäroperation kann ein Jahr, zwei Jahre oder gar zehn dauern.“

Das weckt Erinnerungen an die 80er-Jahre, als Aceh Militärgebiet war und es mit größter Repression nicht gelang, die GAM zu bezwingen. Vielmehr schien dies die Unterstützer der Unabhängigkeit, die nicht alle GAM-Anhänger sind, zu stärken.

Beobachter in Jakarta verweisen darauf, dass das Militär mit dem neuen Krieg in Aceh dennoch einen Sieg errang. So geben die Generäle in der Politik inzwischen den Ton an. Da im nächsten Jahr gewählt wird, wagt kein Kandidat, das Militär zu kritisieren. Niemand wird ohne Unterstützung der Generäle in Jakarta Präsident. Die Versuche, das Militär unter zivile Kontrolle zu stellen und seine Macht zu beschneiden, sind laut Liem Soei Liong von der Menschenrechtsorganisation Tapol endgültig gescheitert. Er bezeichnete die Verhängung des Kriegsrechts in Aceh gegenüber der taz als Abschluss eines „weichen Putsches“ des Militärs. Die schwache Regierung von Präsidentin Megawati Sukarnoputri sei nur noch eine zivile Fassade der Generäle.

Denen bot der Krieg zudem die Gelegenheit, sich als Wahrer der nationalen Einheit aufzuspielen. Dass das Militär vielleicht genau das Gegenteil erreicht und die 4,2 Millionen Acehnesen noch weiter befremdet, ist für Jakartas Machtkämpfe zurzeit zweitrangig.