Toleranztest mit dem Regenbogenrad

Lesben und Schwule dürfen in Brandenburg nicht diskriminiert werden. Sagt jedenfalls die Landesverfassung. Um das zu überprüfen, ist der Verein AndersARTIG e. V. eine Woche lang mit dem Infomobil durch die Uckermark gefahren. Wichtigstes Utensil im Tourengepäck: eine ziemlich bunte Fahne

„Mir fällt es auch nicht so leicht, das muss ich zugeben“, sagt der Bürgermeister

VON FRIEDERIKE WYRWICH

Die Fahne hat der Hausmeister des Bad Freienwalder Rathauses ganz undramatisch hochgezogen. Die, die es angeht, stehen noch im Schatten einer Linde und besprechen die Zeremonie, da ist sie schon oben. Etwas gequält hängt sie nun da, aufgespannt zwischen drei Fahnenmasten. Der Hausmeister ist schnell wieder im Innern der Stadtverwaltung verschwunden. Wiederholt werden kann das Ganze nun nicht mehr.

Immerhin ist der Bürgermeister geblieben. Sonst kann oder will wohl kaum jemand in Bad Freienwalde wahrnehmen, was da, versteckt zwischen Linde und Rathaus, Historisches passiert: Zum ersten Mal, so darf angenommen werden, wird in der Geschichte des Ortes offiziell die Regenbogenfahne gehisst. Wie gesagt, etwas unspektakulär. Aber es kommen ja noch die Grußworte, per Lautsprecher auf den Marktplatz übertragen. An einem sonnigen Montagmittag um halb eins, zu einer Uhrzeit, zu der wenige Leute unterwegs sind. „Mir fällt es auch nicht so leicht, das will ich ganz unumwunden zugeben“, sagt Herr Lehmann, der Bürgermeister, ins Mikro. Ob ihn jemand hört, ist ungewiss. „Aber wenn man sich mit dem Thema etwas näher auseinander setzt, wird man dazu auch die nötige Grundeinstellung bekommen.“ Immerhin gebe es im Haus der Begegnung eine Selbsthilfegruppe, „die sich auch mit Lesben und Schwulen beschäftigt“.

Der bunte Infostand auf dem Marktplatz bleibt erst einmal leer. Er ist strategisch günstig auf die Einkaufsstraße gegenüber ausgerichtet: Der rote Laster mit dem Schild „Lesbischwule Tour 2004“, das regenbogenfarbene Glücksrad und die Einladung („Eintritt frei“) zum Filmabend im Jugendclub müssten eigentlich von dort aus zu sehen sein.

Sind sie auch. Ein Grundschüler hat die Chupa-Chups-Lollys entdeckt, die es am Glücksrad zu gewinnen gibt. Und das Team vom RBB ist froh, dass es endlich etwas zu tun kriegt. „Kann ich einen haben?“, fragt der Elfjährige. Er bekommt ihn – nachdem er eine Frage zur sexuellen Orientierung Prominenter richtig beantwortet hat. Ohne mit der Wimper zu zucken. Ein Gleichaltriger, wenige Minuten später, ist da zimperlicher: „Nee, ich glaub, ich bin hier falsch“, meint er kurzerhand, obwohl Glücksraddrehen auch Heteros erlaubt ist.

Die Besucher, die innerhalb von drei Stunden den Stand aufsuchen, lassen sich an einer Hand abzählen – rechnet man die Gruppe Teenager nicht dazu, die vor allem von den RBB-Kameras angelockt werden. Am Morgen im Bertolt-Brecht-Gymnasium sah das etwas anders aus: 16 Schülerinnen und zwei Jungs entschieden sich an ihrem „Alternativen Schultag“ für die AG Homosexualität, in der zwei junge Schwule, Polly und Eric aus Eberswalde, jetzt wohnhaft in Berlin-Friedrichshain, von ihrem Coming-out berichteten.

„Tut es eigentlich weh?“, war eine der direkteren Fragen, die sie beantworten mussten. Sie trugen’s mit Humor, verwiesen darauf, dass beileibe nicht alle Schwule Analverkehr praktizierten, und fragten zurück: „Wenn’s wehtäte, würden wir’s dann machen?“ Die Schwulenbilder der Schülerinnen waren meist freundlich, es tat sich etwas auf wie die Allianz gut meinender Heteromädchen mit ihren schwulen Freunden. Schwule seien gute Zuhörer, schrieben die Schülerinnen anonym auf Zettel, seien feminin und redeten komisch. Aber ansonsten seien sie „auch nur Menschen“.

Fragen zu Lesben gab es keine. Zwei Schülerinnen wussten zu ihren Lesbenbildern gar nichts zu schreiben, zwei hatten nur Wertungen im Kopf: „Lesben sind meiner Meinung nach nicht so toll“, und: „Lesben sind männlich, aggressiv und eklig.“

Um 15 Uhr wird der Stand auf dem Marktplatz abgebaut. Das Programm in Bad Freienwalde ist voll, um 17 Uhr beginnt eine Lesung mit Corinna Waffender in der Stadtbibliothek, um 19 Uhr der Film im Freizeitheim. Das ist viel im Vergleich zu den anderen Stationen der Tour: In Angermünde gibt es außer dem Fahnehissen nur eine Veranstaltung, in Bernau nicht mal das. In Prenzlau legen sich zwar die Bibliothek und das Jugendrechtshaus mit vier Veranstaltungen mächtig ins Zeug, der PDS-Bürgermeister hat jedoch mitgeteilt, dass er ein Fahnehissen nicht wünsche.

„Als Grund bezieht man sich dann immer auf die Flaggenordnung“, sagt Gabriele Kerntopf, Leiterin der Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule Belange in Brandenburg und Organisatorin der Tour. „Auch wenn wir darauf hinweisen, dass das schon seit Jahren geht und die Bürgermeister sogar von der Landesregierung gebeten werden, die Fahne zu hissen.“ In der Tat ermuntert Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske – der Schirmherr der Tour – die Bürgermeister in seinem Grußwort, „den Regenbogen in die Rathäuser zu lassen“. Gabriele Kerntopf verliest das jedes Mal – sofern sie die Gelegenheit bekommt. Einem Minister, der nicht nur auf dem Papier in die Stadt kommt, würde man diesen Wunsch vielleicht nicht verwehren.

Die runden Cafétischchen in der Bad Freienwalder Stadtbibliothek sind einladend gedeckt: Keksteller auf Blümchenservietten, dazu Mineralwasser. Drum herum gruppieren sich vor allem die Begleiter der CSD-Tour, neu sind eigentlich nur vier Leute: eine Frau, die sich länger am Stand unterhalten hat, ist mit ihrer Tochter wiedergekommen. Dazu die erste Lesbe und der erste Schwule, die sich am Bertolt-Brecht-Gymnasium geoutet haben. Letzterer hat auch schon den „Alternativen Schultag“ mit Polly und Eric organisiert. Ach ja: Zwei ABM-Kräfte der Bibliothek sind auch da.

Wer bei der Brandenburger CSD-Tour einen Massenandrang von Schwulen und Lesben erwartet, die angesichts der Regenbogenfahne „Endlich befreit!“ schreien, wird enttäuscht sein. „Die meisten finden es zwar toll“, sagt Gabriele Kerntopf, „manche sind zu Tränen gerührt.“ Einige aber fürchteten immer noch die Öffentlichkeit und trauten sich gar nicht an den Stand. „Wir wollen vor allem den Finger in die Wunde legen“, sagt Kerntopf. „Wir bringen schon durch unser bloßes Kommen das Thema auf die Tagesordnung.“ In den Kommunalverwaltungen gehe die Diskussion schon bei der Anfrage los, ob denn nun gehisst werde. Und die Peinlichkeit, möchte man anfügen, wenn man bedenkt, dass Gabriele Kerntopf durchaus „17-mal bei einem Bürgermeister anruft, der dann immer noch das Weite sucht“.

Am Abend im Jugendfreizeitheim lassen sich die Tourbegleiter vor der Leinwand in die Sofas sinken. „In and out“ soll es vom Video geben, eigentlich eine Klamotte für alle sexuellen Orientierungen. Die Frau vom Marktplatz ist wieder da, diesmal mit zwei Söhnen und der Tochter. Und die Jugendsozialarbeiterin.

Übrigens: Im April 2004 zog der Verein AndersARTig, der die CSD-Tour organisiert, von Cottbus nach Potsdam. Dabei war eine Ummeldung beim Amtsgericht unnötig. „Es ist nicht verständlich, welche Aufklärungsarbeit der Verein leisten will“, antwortete das Amtsgericht Potsdam, „zumal überall bekannt ist, dass es Schwule und Lesben in unserer Gesellschaft gibt.“