Vom Wodka gezeichnet

Unter dem Einsatz von Hochprozentigem entstanden: Harry Rowohlt liest morgen aus den „Aufzeichnungen eines Psychopathen“ von Wenedikt Jerofejew. Der Autor hat darin ein verzweifeltes Leben im stalinistischen Russland festgehalten

von Eberhard Spohd

Literatur hat häufig etwas mit Alkohol zu tun. Schon Georg Christoph Lichtenberg wollte es genau wissen: „Unter den heiligsten Zeichen des Shakespear wünschte ich, daß diejenigen einmal mit Rot erscheinen mögten, die wir einem zur glücklichen Stunde getrunkenen Glas Wein zu danken haben“, forderte er in seinen Sudelbüchern. Es gibt aber auch Schriftsteller, die nur unter schwerem Einsatz von Hochprozentigem das wurden, was sie sind. Wenedikt Jerofejew gehört ohne Frage dazu.

Der Russe, 1938 in Kirowsk geboren, 1990 in Moskau an Kehlkopfkrebs verstorben, bereichert aufs Feinste die ewige Liste der Trinkerliteraten. Das ist zunächst keine Bewertung seines Schreibens, das ist die tragische Zusammenfassung eines ganzen vom Sozialismus geprägten, vom Wodka gezeichneten Lebens.

Schon 1956 begann er mit dem bewussten Schreiben, wie er es selbst formuliert hat, während seines ersten Jahres an der Moskauer Staatlichen Universität. Die musste er kurz darauf verlassen, hatte er sich doch nicht in gebotenem Maße am Militärdienst beteiligt. Darüber hinaus waren sein Vater und sein Bruder in der Lagerhaft ums Leben gekommen. Das muss der Moment gewesen sein, in dem Jerofejew beschloss, seiner Vita eine neue Richtung zu geben. Er verdiente seinen Lebensunterhalt von nun an mit Hilfsarbeitertätigkeiten wie Heizer, Kabelverleger oder in der Pfandflaschenannahme, er begann zu schreiben und er begann zu saufen.

In der Folgezeit verfasste er meist fragmentarische Werke – sein bekanntestes ist Die Reise nach Petuschki – und rund 2500 Seiten transkribierten Text, den er in Notiz- und Tagebücher kritzelte. Von diesem umfangreichen Konvolut erschien vor Kurzem ein kleiner Teil, die Aufzeichnungen, die zwischen dem 14. Oktober 1956 und dem 16. November 1957 verfasst wurden, unter dem Titel Aufzeichnungen eines Psychopathen. War die berühmte Reise in das 120 Kilometer östlich von Moskau liegende Petuschki noch so etwas wie eine abgeschlossene Road Novel, vermitteln diese Aufzeichnungen einen Eindruck, was sich Jerofejew bei seiner Kunst gedacht haben mag.

Tagebuchnotizen, Dialoge, Zitate von Menschen aus seiner Umgebung über ihn selbst, Gedichte, Erzählungen, Träume, Selbstgespräche, Fetzen aus Text: Jede literarische Form machte sich der damals 18-Jährige zu eigen. Viele Einträge, auch die prosaischen, wirken poetisch im wahrsten Sinne des Wortes, nannte er doch schon Die Reise nach Petuschki ein Poem. Und genauso wie diese ungemein komische Geschichte tragisch endet – selbstverständlich kommt der Ich-Erzähler nie in dem paradiesischen Örtchen an – spricht aus seinen Tagebüchern oft die pure Verzweiflung. Oder wie es auf dem Weg nach Petuschki heißt: „Alles auf der Welt muss langsam und verkehrt laufen, damit der Mensch nicht hochmütig werde, damit der Mensch traurig und verwirrt sei.“

Und doch ist da stets der Spott mit dabei. Da lacht einer über eine Welt, die er nicht zu ändern und der er sich auf seine Weise zu entziehen vermag. Klug und hochgebildet wird er beschrieben, oder wie es am 18. März als Zitat eines Nikolai A. formuliert ist: „Komischer Kerl, dieser Jerofejew. Ewig liest er, liest er ... aber saufen kann er bestens.“

Da wirkt es ganz passend, dass sich mit Harry Rowohlt ein ausgewiesener Trinkerliteraturvorleser morgen Abend im Literaturhaus der Aufzeichnungen annimmt. Der Eppendorfer hat schließlich doch auch schon Flann O‘Briens Durst, Eugen Egners Aus dem Tagebuch eines Trinkers und zusammen mit Robert Gernhardt und Josef Bilous eben Die Reise nach Petuschki mit seiner röhrenden Stimme zum Leben verholfen. Und Rowohlt bringt bestimmt auch die Erfahrung mit, aus den disparaten Teilen dieses Buches ein Ganzes zu formen. Wenn er sich nicht nur auf die komischen Stellen verlässt, sondern den ganzen Charakter des Autors zum Ausdruck bringt. Denn, auch das steht in den Aufzeichnungen eines Psychopathen: „Wissen Sie was, Jerofejew? Ich weiß nicht, was konkret mich an Ihnen interessiert, aber Sie sind ein sehr eigenartiger Mensch.“

Wenedikt Jerofejew: „Aufzeichnungen eines Psychopathen“, Tropen Verlag, 2004, ISBN 3-932170-63-6, 191 Seiten, 17,80 Euro. Lesung: morgen, 20 Uhr, Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38; die Karten sind leider ausverkauft