Fortschritt durch Konflikt

Kann es einen sinnvollen Kampf der Kulturen geben? Stefan Weidner demontiert lustvoll die Schlachtordnung, die es in den Auseinandersetzungen um den Islam gibt

Kampf der Kulturen? Aber ja, meint Stefan Weidner: „Ohne Kampf gibt es keine Verschmelzung.“ Aber Weidner meint nicht Samuel Huntingtons martialischen „Clash of Civilisations“, sondern den Kampf der Meinungen zwischen dem Westen und dem Islam. Dessen diskursive Schlachtordnungen will er im „Manual für den Kampf der Kulturen“ analysieren. Das Buch des 1967 geborenen Autors und Übersetzers aus dem Arabischen ist ein polemischer und leidenschaftlicher Langessay darüber, wie der Westen und der Islam übereinander denken, fühlen und sprechen – und wie sie es anders tun könnten.

„Der Islam ist eine Provokation“, schreibt der um kräftige Formulierungen nie verlegene Weidner, „weil sich aus ihm die gegenwärtig einzigen Stimmen rekrutieren, die der Diskursherrschaft des Westens massiv inhaltlich widersprechen.“

Der Islam plädiere offen für das in unseren Augen Böse – stimmt nicht, behauptet Weidner: Unser Bild vom Islam sei ein Zerrbild. Weidner sucht zunächst die gängigen Vorwürfe zu widerlegen. Rückständig sei der Islam? Nur weil man sich im Westen auf Werte berufe, die erst seit 1968 und nur teilweise durchgesetzt seien. Unfähig zur Demokratie sei nicht der Islam, das Argument verwechsle die Religion mit trauriger staatlicher Praxis. Menschenrechte kenne der Islam nicht anders als die UN-Charta. Unüberbrückbare Differenzen gebe es allerdings bei der Religions- und Meinungsfreiheit, wie die Morde an Abtrünnigen sowie die Fatwa gegen Salman Rushdie zeigten.

Unfähig zur Entwicklung könne der Islam nicht sein: Gebe es sonst die vielen neuen reformerischen und fundamentalistischen Strömungen? Und was die Irrationalität angehe – nun, so seien Religionen eben.

Die Argumente der westlichen „Islambildproduzenten“ hält Weidner durchweg für zirkulär oder nicht durchdacht: Wer dem Islam eine fehlende Aufklärung vorwerfe, wünsche sich eigentlich eine Religionskritik und erkläre die westliche Entwicklung zum Maß aller Dinge. Dabei existiere im Islam sehr wohl eine vergleichbare Ethik der Selbstkritik.

Hiebe und Schläge austeilend und mit stupender Detailkenntnis des Islam arbeitet sich Weidner durch die Konflikte der letzten 40 Jahre, durch Multikulturalismus, Asyl, Immigration und Orientalismus. Vor einigen Jahren haben Ian Buruma und Avishai Margalit islamischen Fundamentalisten „Okzidentalismus“ vorgeworfen: Ihre Ideen entstammten der westlichen Zivilisationskritik. Weidner ist über solche Befruchtungen nicht nur viel besser informiert, für ihn ist sie auch keine Einbahnstraße.

Seine Pointe ist, dass sich westliche „Islambildproduzenten“ und islamische Fundamentalisten einig seien in ihrer Sicht auf den Islam (nicht in seiner Wertung): Beide bräuchten ein schlüssiges Islambild. Weidner möchte den Islam vor den Hardlinern hüben wie drüben retten. Wie stark die von ihm erwähnten Reformer sind, wie groß die behauptete Glaubensvielfalt ist, können wohl nur Spezialisten beurteilen. Nur fragt sich der interessierte Laie manchmal, ob Weidner nicht auch ein Islambild produziert, nur ein freundlicheres.

Überaus synkretistisch bedient sich das „Manual“ bei der Ideologiekritik, der Diskurstheorie und der Ethik. Der Essay reflektiert und erzählt, ist mal lässig, mal zupackend, und steuert am Ende auf grundsätzliche Verständigungsprobleme zu: Wenn für den Islam die Welt, für den Westen jedoch der Mensch unvollkommen ist, wie verständigt man sich dann? Wenn der Westen das Individuum für heilig hält, der Islam aber den Propheten und den Koran, dann wird mit dem Schleier oder der Meinungsfreiheit das Heilige auf der einen Seite gerade dann verletzt, wenn es auf der anderen vehement hervortritt.

Weidner will dem islamischen Terrorismus den Boden entziehen, indem der Westen durch einen Marshallplan das Versprechen seiner Kultur auf ein besseres Leben verwirkliche, statt dieses Versprechen durch seine Politik immer wieder zu brechen.

Und der Westen solle die eigene Trennung von privat und öffentlich überdenken. Die intimsten Überzeugungen, seit dem Dreißigjährigen Krieg auf friedensstiftende Weise zum Privaten erklärt, seien durchaus politisch relevant und das politische System sei kein „interesseloses Uhrwerk“, sondern „eine Überzeugung, ein Weltbild, ja eine Glaubenssache“: Weidner sieht eine hierzulande uneingestandene Religiosität im öffentlichen Leben wirken.

Er spielt den Ball zurück: Der Islam ist ihm weniger Bedrohung als Herausforderung. Das „Manual“ fordert die interkulturelle Gratwanderung nicht nur, es führt sie mit Verve und Wagemut zugleich vor. JÖRG PLATH

Stefan Weidner: „Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausfoderung ist“. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt/Main 2008, 222 Seiten, 19,80 Euro