Wo der Sonnengott solarduscht

Auf der Isla del Sol im Titicacasee findet eine Öko-Lodge mit Mülltrennung, Lehmziegeln und Solarheizungen Nachahmer: weil es sich rechnet. Das Wasser kommt weiterhin mit Eseln: weil sich ein Schwätzchen mit den Wassertransporteuren immer lohnt

Die Isla del Sol liegt im bolivianischen Teil des Titicacasees auf 3.810 Metern und ist mit dem Schiff vom Festland aus in etwa einer Stunde zu erreichen. Auf ihr leben zirka 2.000 Menschen und ebenso viele Kühe, Schweine, Esel und Schafe.Der nächste Flughafen ist La Paz, die günstigsten Verbindungen hat meist die chilenische LAN (über Santiago de Chile, ab etwa 900 Euro).Ein Bungalow für zwei Personen kostet in „La Estancia“ derzeit 95 US-Dollar (www.ecolodge-laketiticaca.com), die Lodge ist allerdings oft ausgebucht. Als deutscher Reiseveranstalter bietet der Trekkingspezialist Hauser-Exkursionen Aufenthalte in „La Estancia“ an – etwa in Kombination mit einem mehrtägigen Trekkingprogramm in der Cordillera Real und dem peruanischen Inka-Trail als 21-Tage-Reise ab 4.190 Euro. www.hauser-exkursionen.de, Tel.: (0 89) 23 50 06-0 Hauser-Exkursionen hat diese Reise unterstützt.

VON THOMAS HEINLOTH

Wenn die Sonne aus dem See steigt, um ihre Insel zu begrüßen, stehen schon lang die Esel Schlange an der heiligen Quelle von Yumani. Drei klare, kalte Strahlen schießen hier aus dem Stein, und die Inkas waren sicher: Der erste bringt Glück in der Liebe, der zweite ewige Jugend, der dritte Seelenheil. Den Eseln ist’s egal. Für sie zählt nur Gewicht. Meist sind es vier mal zehn Liter, die jedes Tier morgens von der Quelle trägt, eine kleine Karawane, voll bepackt mit heiligem Nass.

Der Weg der Wasser-Prozession ist ein Marsch auf einem schmalen Pfad durch kargen Fels, rechts das tiefe Blau des Titicacasees, links das helle Braun verbrannten Maises auf den Steinterrassen. Nach drei Kilometern ist die Karawane an ihrem Ziel, und meist nimmt sie Sonia Callesaya in Empfang, um die Eseltreiber auszuzahlen: Fünf Bolivianos, 44 Cent, gibt es für einen Zehn-Liter-Kanister-Wasser, und Sonia braucht viel Kleingeld, denn unter 3.000 Litern täglich kommt sie selten aus. So viel brauchen die Gäste in den elf Cabañas von „La Estancia“ mindestens zum Haarewaschen, Zähneputzen und für die Toilettenspülung. „Man glaubt gar nicht“, sagt Sonia, „was ein Mensch so wegduscht.“

Wasser ist kostbar auf der Sonneninsel, denn das Wasser des Sees ist salzig. Die Inkas legten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem quer über die Terrassenlandschaft, kein Tropfen sollte ungenutzt versickern. Die Architekten von „La Estancia“ machten es ganz ähnlich, nur dass ihre Leitungen unterirdisch laufen: ein kompliziertes Netz im harten Boden unter den elf Gäste-Bungalows. Jeder Liter wird hier dreimal verwendet: erst als Trinkwasser im Bad, dann als Brauchwasser in der Toilettenspülung des Nachbar-Bungalows, dann – geklärt – als Gießwasser für Rosen, Mohn und Margeriten zwischen den Cabañas. „Hat ein Heidengeld gekostet, das alles zu verlegen“, sagt Sonia, „aber das haben wir längst wieder drin.“ Auch die Solaranlage, die das Wasser in den Duschen wärmt, hat sich mittlerweile gerechnet und auch der Bau der Heizungs-Thromben: Jeder Bungalow hat einen kleinen Erker, schwarz ausgemalt und mit verglastem Dach, der das Sonnenlicht einfängt und die Wärme weitergibt nach drinnen.

Die Tage sind heiß unter Boliviens blauem Himmel rund um den Titicacasee, doch wenn es Nacht wird und der Mond über den vergletscherten Gipfeln der Cordillera Real am Horizont aufgeht, fällt die Insel schnell in Kältestarre. Nur in den Bungalows von „La Estancia“ hält sich noch die warme Luft des Tages, bis die Sonne wieder über ihrer Insel steht. „Solarenergie“, sagt Sonia, „liegt hier ziemlich nahe.“ Für die Inkas ging die Sonne nicht weit von „La Estancia“ zum ersten Mal überhaupt auf. Hinter einen Fels bei den Ruinen von Chincana soll sie bei der Erschaffung der Welt aus dem See gestiegen sein, und später schickte hier der Sonnengott Manco Cápac los, den ersten Inka, um eine Heimatstadt zu gründen für sein auserwähltes Volk.

Heute schlendern die Touristen durch die Mauerreste und machen Picknick auf dem Opferstein, auf dem Dutzende Inka-Kinder, berauscht mit Coca-Tee und Maisbier, ihr Leben ließen. Jedes Jahr kommen mehr Gäste auf die schöne, herbe Insel, die wie ein Nashornrücken liegt im seidenglatten See. Es riecht nach frischer Farbe und Zement an den Restaurants und den neuen Gästehäusern von Yumani, und den feinen Sandstrand von Challapampa teilt sich das internationale Rucksackpublikum mit Wollschweinen und mageren Hühnern. Die Sonneninsel-Kinder haben längst gelernt, dass man die Hand aufhalten muss, wenn man für ein Foto posiert. Und ihre Eltern wissen, dass mit einer Posada oder einem Souvenirstand weit mehr Geld zu machen ist als mit Saubohnen oder Quinoa.

„Wer was auf sich hält“, sagt Sonia, „ist im Tourismusgeschäft.“ Als sie vor sieben Jahren als Verwaltungschefin im neu eröffneten „La Estancia“ anfing, war das noch anders. „Keiner hat damals geglaubt, dass sich das lohnt.“ Dass ihr Hotel sich im Untertitel „Öko-Lodge“ nannte, machte die Skepsis nicht geringer. „Strikte Mülltrennung, Lehmziegel statt Zement, Heizung ohne Strom: Die Leute im Dorf haben gedacht, das wird eine Absteige für reiche Hippies.“ Jetzt fragen sie bei Sonia nach, wo man Solaranlagen kaufen kann.

Es hat sich herumgesprochen in Yumani, dass es sich lohnt, die Sonne anzuzapfen – und dass man ein paar Bolivianos mehr für die Nacht verlangen kann, wenn man das Etikett „öko“ an seine Posada malt. Vier weitere Lodges nennen sich mittlerweile „umweltfreundlich“. Das grüne Hotelprojekt von „La Estancia“ färbt ab, nicht nur bei denen, die mit Tourismus Geld verdienen. Anfang des Monats beschloss der Gemeinderat der Insel ein Konzept gegen den hellblauen Plastikmüll: Jeder Schüler muss künftig jeden Dienstag fünf alte Kunststoffflaschen in die Schule bringen, die die Gemeinde dann am Festland an eine Recycling-Firma verkauft.

„Wenn man den Sprit für das Boot abzieht“, sagt Sonia, „bleibt sogar noch was übrig.“ Ihre eigenen Rechenspiele drehen sich derzeit mehr ums Wasser: In der Geschäftsführung von „La Estancia“ denkt man über eine Leitung nach: drei Kilometer, von Yumanis heiliger Quelle bis zum Tank der Lodge. Hunderttausende Bolivianos würden die Erdarbeiten kosten, doch nach ein paar Jahren hätte sich die Investition amortisiert. Nur: Was wird dann aus den Eseltreibern? „Acht bis zehn Menschen“, schätzt Sonia, „leben vom Wassertransport nach ‚La Estancia‘. Auch die Investition ins gute Dorfklima gehört zur Rechnung.“

Und so wird es wohl keine Leitung geben. Stattdessen jeden Morgen an der Quelle Geschrei und Gedränge mit Kanistern und eine graufellige Karawane, kommandiert von einem Trupp zufriedener Treiber. Sonia ist es lieber so, das Schwätzchen mit den Wassertransporteuren gehört zu ihrem Tag. Und ihre Gäste zücken Digitalkameras, wenn die kleine Prozession vor „La Estancia“ ankommt. Nur den Eseln, denen ist’s egal.