Armut macht Kölner aggressiv

Den typischen Obdachlosen gibt es nicht mehr, sagen Kölner Hilfsorganisationen. Auch Rentner und Sozialhilfeempfänger finden sich inzwischen in Suppenküchen. Die Stadt tue zu wenig, so die Vereine

Von Stefanie Liebl

Immer mehr Kölner strömen montags zum Appellhofplatz, wo die Mitarbeiter des Vereins „Bürger für Obdachlose“ (BfO) alle Hände voll zu tun haben, um Suppe und Kleider an eine stetig wachsende Zahl von Wohnungslosen zu verteilen. Gelebte Solidarität. Doch wo sich noch vor zehn Jahren die Obdachlosen einträchtig versammelten, hat sich heute Aggressivität breit gemacht.

„Es sind eben nicht mehr die typischen Obdachlosen oder Punks, die mehr oder weniger solidarisch zusammen auf der Straße leben“, sagt Willi Kocks. Er ist Leiter des Arbeitsprojektes „Gebrauchtwarenkaufhaus“ der BfO, zu deren zehnjährigem Bestehen sich diese Woche die sozial engagierten Vereine Kölns trafen, um sich über die Lebensbedingungen der Obdachlosen in der Stadt auszutauschen. „Die Sozialstruktur hat sich verändert“, berichtet Kocks, „und so ist die Zahl der Hilfsbedürftigen eben größer geworden, auch wenn das niemand wahrhaben möchte.“

Auch wenn die offizielle Zahl der Kölner Obdachlosen laut Statistik auf 8.647 Personen zurück gegangen ist, „hat sich die Dunkelziffer doch enorm erhöht“, weiß Schwester Alexa Weißmüller, die als gewählte Vertrauensperson der Kölner Obdachlosen das Leben auf der Straße seit Jahren beobachtet und begleitet.

„Das Publikum wird immer jünger, und viele Ausländer versuchen, auf der Straße Anschluss zu finden“, erzählt die Schwester. „Aber auch Sozialhilfeempfänger oder Rentner finden sich inzwischen unter unseren Klienten wieder, die einfach kein Geld mehr in der Tasche haben, um sich ein warmes Essen zu kaufen“, sagt Schwester Alexa Weißmüller weiter. „Schuld daran sind Sozialreformen, die dafür sorgen, dass sozial Schwachen immer weniger Geld zum Leben bleibt.“ So ist die Straßenszene in der Stadt für die Hilfsorganisationen unüberschaubarer und schwieriger kontrollierbar geworden.

„Ein akutes Problem ist der zunehmende Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Köln“, so Ralf Berger vom Verbund gemeinnütziger Möbellager in Köln. „Die Schaffung von Wohnraum in alternativen Formen, wie Bauwagenplätze, Zeltplätze oder die vorübergehende Nutzung leer stehender Häuser stößt bisher auf wenig Unterstützung seitens der Stadt Köln“, sagt er.

„Auch die Vertreibungspolitik – die Entfernung von wenig kaufkräftigem Publikum aus der Innenstadt – ist ein großes Problem für die Betroffenen“, so Rosi Herting von der „Oase für Obdachlose und Andere“. Ihnen würden dadurch „Lebensorte entzogen“ und es „bilden sich immer mehr unüberschaubare Brennpunkte“.

Aber auch in ihren Hilfsprojekten werden den Organisatoren vom Verbund gemeinnütziger Möbellager von der Stadt immer wieder Steine in den Weg gelegt. So sollen soziale Einrichtungen, die sich zum der Verbund gemeinnütziger Kölner Möbellager zusammengeschlossen haben und günstige Umzugsdienste anbieten, künftig eine „Güterkraftverkehrsgenehmigung“ erwerben, meint das Kölner Ordnungsamt (taz berichtete). „Das können wir weder organisatorisch noch finanziell leisten“, sagt Wolfgang Corsten, Geschäftsführer des Verbundes gemeinnütziger Kölner Möbellager. „Wir sind doch kein Gewerbe, wir wollen gemeinnützig bleiben und Obdachlosen eine Chance geben, bei uns zu arbeiten. Im allgemeinen Wettbewerb wären wir chancenlos“, so Corsten.

„Unsere Gesellschaft definiert sich nun mal über Arbeit. Und wenn wir den Obdachlosen jetzt auch noch die Möglichkeiten nehmen, in unseren sozialen Vereinen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sind die Ärmsten in Köln bald vollständig sich selbst überlassen“, ist Willi Does von der „Emmaus“-Gemeinschaft Köln überzeugt. „Die Stadt muss endlich wieder mit uns zusammenarbeiten, denn die gesamtgesellschaftliche Problematik spiegelt sich inzwischen auf der Straße wider.“