Das Recht der Unvernunft

In Salzburg wurde der Wettbewerb junger Regisseure mit Monika Gintersdorfs „Die Frau vom Meer“ eröffnet

Wer bei den Salzburger Festspielen auftreten darf, hat es geschafft. Er reiht sich ein unter die großen Regisseure, Dirigenten, Musiker oder Schauspieler. Für Experimente waren die Salzburger Festspiele dabei lange nicht recht zu haben, doch inzwischen haben sich auch hier Aufführungen eingespielt, die sich vorsätzlich von der Werktreue verabschieden. Allerdings stehen für diese Interpretationen bisher eben die großen Namen ein. Zuschauer, die teures Geld für Karten ausgeben, wollen sicher in Qualität investieren – Absturz wurde da nur auf hohem Niveau riskiert.

Wo aber bleiben die Jungen, die auf dem Sprung in die Bekanntheit sind, die Talent bewiesen haben, in der ersten Liga aber noch nicht mitspielen dürfen? Seit dem vorigen Jahr hat Jürgen Flimm, Leiter der Sparte Schauspiel, die Reihe „Young Directors Project“ in das Programm der Festspiele integriert, die jungen Regisseurinnen und Regisseuren, die mit ihrer Arbeit schon aufgefallen sind, die Chance bietet, sich in großem Rahmen zu präsentieren. Drei Theaterarbeiten wurden ausgewählt für einen Wettbewerb: Monika Gintersdorfer zeigt Susan Sontags Bearbeitung des Henrik-Ibsen-Dramas „Die Frau vom Meer“, Alvis Hermanis, der Direktor des Neuen Theaters Riga, hat „Revizor“ von Nikolai Gogol einstudiert, und Antonio Latella aus Neapel wird seine Version von Pier Paolo Pasolinis „Porcile“ („Der Schweinestall“) zur Aufführung bringen.

Die Reihe wird von der Firma Montblanc unterstützt, als Preis stehen 10.000 Euro und ein „Montblanc Max Reinhardt Pen“ in Aussicht. Als Juroren werden Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, der Galerist Thaddäus Ropac und der Schauspieler Tobias Moretti (er spielt den Teufel in „Jedermann“) über die beste Inszenierung entscheiden.

Am Sonntag bekam Monika Gintersdorfer ihren großen Auftritt. Ihre Version von Susan Sontags „Die Frau am Meer“ wird das Deutsche Theater Berlin vom 5. September an in seinem Programm führen. Es ist ein rundum spannender Theaterabend geworden.

Susan Sontag verschärft Ibsen, und Monika Gintersdorfer kippt die Tragik ins Groteske. Sontag ist die Analytikerin, die das Gefühlsgeflecht menschlicher Beziehungen auseinander dröselt, sodass jede Figur für eine Lebenshaltung einsteht, die ihr angepasst ist und gegen die sie nichts unternehmen kann. Bei Sontag heißt lieben leiden, und nicht zu lieben und nicht geliebt zu werden bringt ebenso Leiden mit sich. Die Autorin ist hellwach, wenn sie sieht, wie Konvention und Sehnsucht sich ins Gehege kommen und die Menschen zermürben. Gesellschaftliche Vernunft und individuelle Leidenschaft passen nicht zusammen, deshalb braucht eine gewiefte Autorin nur aufzupassen, wie Menschen sich an diesem Konflikt abmühen.

Sontag tut so, als wüsste sie einen Ausweg, und stellt ihren Figuren hinterlistig eine Falle. Wenn sich alles zu einem glücklichen Finale fügt, die Ausreißerin gezähmt die ihr zugemutete Rolle annimmt und das Familienidyll perfekt ist, die Launen der Abweichung Vergangenheit und Gefühle unter Kontrolle sind, entspricht das einem Ende in Schrecken.

Susan Sontag schreibt von einem Krieg der Geschlechter, der keine Sieger kennt. Monika Gintersdorfer macht aus Menschen Monster der Leidenschaft, die längst mit der Weisheit am Ende sind und sich deshalb das Recht der Unvernunft herausnehmen.

Ellida Wangel, die Frau mit dem Robbenherzen, ist dem Meer zugewandt, deshalb findet sie bei Mann, Kindern und Einbauküche kein Zuhause. Was ist, ist ihr zu wenig, was sie will, ist für sie nicht zu haben. So inszeniert Gintersdorfer Szenen, die in der Enge angesiedelt sind und so die ersehnte Freiheit in der Fantasie ausmalen. Ellida ist ein Krüppel der Unterordnung im Rausch des Aufbruchs ins Offene.

Mit der Logik der Psychologie hält sich Gintersdorfer nicht lange auf. Alle ihre Gestalten reagieren wider die Erwartung, kippen das wissenschaftlich beglaubigte Wissen um den Menschen, sie agieren ebenso triebgeleitet wie ferngesteuert, sie pfeifen auf die Korrektheit und geben sich dann doch befriedet den Freuden einer präfabrizierten Harmonie hin. Anika Mauer und Hans Kremer geben ein starkes Konfliktpaar ab. Die Küche wird zum Wehrsportplatz der Geschlechter.

Christin Vahl hat eine in Silbertönen gehaltene sterile Bühne geschaffen, kühl und glatt, in der Gefühle nirgends Halt finden. Monika Gintersdorfer ist eine Regisseurin, die mit ihren Ideen nicht knausert. Sie ist drauf und dran, auf der Bühne Halt zu finden.

ANTON THUSWALDNER