strübel & passig
: Die Mutation

Mit dem Internet sind einige ganz neue ökologische Nischen für Nervensägen entstanden. Wie bei Beutelmull und Maulwurf kommt es zu konvergenten Entwicklungen: Was im richtigen Leben Passanten ohne Ortskenntnis, die einen hilfsbereit in die Irre schicken, das sind auf Mailinglisten jene Narren, die auf jede Anfrage ein herzliches „Guck doch mal bei Google“ oder „Oh! Also das weiß ich jetzt auch nicht!“ schicken. Andere Spezies dagegen scheinen im Internet erst neu zu entstehen, per Mutation wahrscheinlich, oder sie „bilden sich unter der Schüttkohle“, wie meine Vermieterin es von den Ratten vermutet.

 Die lästigste dieser neuen Arten ist der nach einem ihrer frühen Vertreter benannte Kautzwitz. Dieser hebt sich von anderen Webspacken durch die überdurchschnittlich wahnwitzigen Ansinnen ab, mit denen er an fremde Webmaster herantritt, zum andern durch die Hartnäckigkeit, mit der er seine Opfer mit weinerlichen Mails, Verschwörungstheorien und Drohungen verfolgt.

 Erst vor wenigen Tagen bescherte mir die Seite des Plattenlabels Flittchen Records, auf der ich als Webmaster-Urlaubsvertretung die Blumen gießen sollte, eine klassische Kautzwitz-Sichtung: Die Inhaberin der Domain mailte mir besorgt, sie habe inzwischen mehrere Anrufe von so einer komischen Frau bekommen, und ich möge doch da bitte mal anrufen und rausfinden, was die eigentlich wolle.

 Die komische Frau erklärte am Telefon energisch, sie sei eine bekannte Fernsehmoderatorin, deren Website täglich 40.000 Hits zähle. Und davon wollten wir uns wohl welche abzwacken. Googelt man nämlich ihren Namen – womit sie anscheinend viel Zeit zubringt, aber wer tut das nicht –, so erhält man gleich auf der ersten Seite einen Treffer, in dessen Vorschau sowohl Google als auch Yahoo ihren Namen direkt neben dem Wort „Flittchen“ anzeigen. Das sollten wir abstellen. Sofort! Sonst! „Ich weiß gar nicht, wieso Sie sich dagegen so wehren!“

 Ich wandte schwach ein, das liege vielleicht am Nichts-dafür-Können sowie am Nichts-dagegen-tun-Können, auch ihre Rechtsanwaltsdrohungen spielten eine gewisse Rolle, aber wir sprachen nicht die gleiche Sprache. Gern hätte ich in diesem Moment über die Gabe meines Kollegen Harald, genannt „die Stimme“, verfügt. Andächtig lauscht die ganze Firma, wenn er Supportmitarbeiter und Telekom-Techniker in dünne Scheibchen schneidet. Ohne einen Tropfen Adrenalin zu vergießen, hätte ich der erbosten Dame erklären können, dass mir weder Google noch Yahoo gehören (was ich nicht weniger bedaure als sie) und der Googlebot zwar angelaufen kommt, wenn ich einladende Geräusche mit dem Googlefutterdosenöffner mache. Aber ganz zu zähmen ist er bekanntlich nur durch Jungfrauen, denen er willig in den Schoß springt, um sich säugen zu lassen.

 Das ist, hätte ich sagen können, genau wie bei der Bahn – da kann man sich ja auch nicht aussuchen, mit welchem Mitfahrergesindel man vom Bahnbot ins gleiche Abteil gesetzt wird. Und nach dem Gespräch hätte ich mich in Ruhe meiner Beschwerdemail an die Bahn gewidmet, voll weinerlicher Ansinnen, Verschwörungstheorien und Drohungen.

KATHRIN PASSIG

kathrin@kulturindustrie.com