Der schwache Fürst

Seit gut einem Jahr ist Nicolas Zimmer Chef der CDU-Fraktion. Doch die ist nicht zufrieden mit seinem Führungsstil. Sein Namensvetter, der Machttheoretiker Niccolo Machiavelli, wäre es auch nicht

VON STEFAN ALBERTI

Wer Nicolas Zimmer in diesen Tagen trifft, stößt zwar nicht auf einen gebrochenen Mann. Aber die letzten Wochen vor dem Politik-Sommerpause waren sichtlich die schwersten, seit er vor einem guten Jahr CDU-Fraktionschef wurde. Die Fraktion ließ ihn mehrheitlich auflaufen mit seinem Wunsch nach einer neuen Verfassungsklage gegen den Haushalt des rot-roten Senats. Das lässt jene noch lauter werden, die schon länger murren: Der Zimmer ist führungsschwach. Die Kritiker haben recht, würde Niccolo Machiavelli sagen. Mit dem Machttheoretiker, der 1513 den Klassiker „Der Fürst“ schrieb, hat Zimmer nur den Vornamen gemein.

Wer nur durch Glück aufsteigt, hat wenig Mühen, aber deren viele, um sich zu behaupten.

(Der Fürst, VII. Kapitel)

Ausschlaggebend für Zimmers Wahl zum Fraktionschef im Mai 2003 war weder eigene Beliebtheit noch Führungserfahrung noch eine Hausmacht. Zimmer, der damals erst 32-jährige Finanzexperte, erhielt seine Mehrheit von 18 zu 17 Stimmen vor allem, um seinen Gegenkandidaten Peter Kurth zu verhindern. Nicht dass Zimmer keine guten Kritiken für seine Arbeit als haushaltspolitischer Sprecher bekommen hätte. Im Gegenteil. Aber das wäre gerade ein Grund gewesen, ihn auf diesem Posten zu belassen.

Söldner und Hilfstruppen nützen nicht und sind gefährlich.

(Der Fürst, XII. Kapitel)

Und eigene Leute hat Zimmer nicht. Wer ihn wählte, mochte den liberalen Kurth nicht oder gehorchte dem zurückgetretenen Fraktionschef Frank Steffel. Leute, die ihn stützen, auch wenn sie seine Position nicht teilen, hat Zimmer auch heute kaum.

Der erste Eindruck, den man sich von der Intelligenz eines Herrschers macht, wird durch die Männer in seiner Umgebung bestimmt. (Der Fürst, XXII. Kap.)

Zimmer hat eine ganze Reihe von Leuten um sich, die eigene Interessen haben. Der parlamentarische Geschäftsführer Frank Henkel platzt schier vor Selbstbewusstsein. Wie andere ist er ein alter Steffel-Mann. Der neue Fraktionsvize Michael Braun gibt den Ungebundenen, profitiert dabei von seiner exponierten Rolle als Chef im Tempodrom-Untersuchungsausschuss. Dass Zimmer seine Wahl nicht verhinderte, vergrätzte den vormaligen Vize Mario Czaja, der für Braun seinen Platz räumen musste.

Hast du deine Residenz dort (in einem eroberten Land) und entdeckst entstehende Unruhen, so kannst du sie schnell unterdrücken. (Der Fürst, III. Kapitel)

Zimmer sei zu wenig präsent, meinen Kritiker. Und haben offenbar Steffel vor Augen. Der war überall. Und ist es noch. Weniger leibhaftig im Parlament, aber am Telefon, in Hinterzimmern, in Kungelrunden. Ruft Steffel, weiterhin Chef des großen CDU-Kreisverbands Reinickendorf, kommt immer noch ein guter Teil der CDU-Oberen.

Wartest du, bis dich das Übel bedrängt, dann gibt es kein Mittel mehr dagegen.

(Der Fürst, III. Kapitel)

Zimmer kündigt an zu reagieren, will „nachdrücklicher werden“ (s. Interview). Doch auch das hat seine Grenzen. Er wird sich nicht ganz verbiegen können; wenn er es doch tut, wird es unglaubwürdig wirken. Zimmer ist kein Steffel, der brüllt, schmeichelt, den Kumpel gibt und damit auch bar jeden Arguments das Gefühl vermitteln konnte: Lasst mich mal machen, das wird schon. Zimmer ist durch und durch Jurist, einer, der mit Argumenten und nicht mit Emotionen überzeugen will. Bei ihm bekommt die Fraktion keine Fantastereien à la Diepgen, sondern Anspruchsgrundlage, Konkretisierung und Schlussfolgerung.

Statuiert ein Herrscher einige wenige abschreckende Beispiele, so ist er barmherziger als diejenigen, die infolge allzu großer Milde Unordnung einreißen lassen, aus der Mord und Plünderung entstehen. (Der Fürst, XVII. Kap.)

Dass Steffel überhaupt noch eine Rolle spielt, hat Zimmer mitzuverantworten. Er hätte ihn konsequenter ausschalten müssen, als Steffel nach seinem Rücktritt monatelang schmollte und lustlos war. Das passierte nicht. So konnte Steffel nach dieser Auszeit die offenbare Sehnsucht nach mehr Führung nutzen, die der neue formelle Machthaber Zimmer nicht geben wollte. Trotz allem gibt es für ihn noch Hoffnung, zumindest beim sonst so kritischen Namensvetter Niccolo:

Ohne Zweifel werden Herrscher groß, wenn sie die Schwierigkeiten und Widerstände, die sich ihnen entgegenstellen, überwinden. (Der Fürst, XX. Kapitel)