Tauben hoch

Hübsch Nerdiges auf der einen Seite und David-Copperfield-Geföhntes auf der anderen: Ein Report vom internationalen Zauberertreffen in Den Haag

von JENNI ZYLKA

Zaubern kann so praktisch sein. Tiphaine, Magierin aus Frankreich zum Beispiel: Sie lässt aus dem Nichts ein silbernes Nanu-Nana-Staubfänger-Mobile nach dem anderen erscheinen. Man sollte sie kurz vor Weihnachten einladen, wenn es an Geschenken fehlt: Die dunkelhaarige Frau in dem scheußlichen 80er-Jahre-Damenfrack stellt im Sekundentakt die gesamte, aufwendige Museumskulisse rund um sich mit den Nippesfiguren zu. Das Publikum klatscht, Tiphaine lächelt und verschwindet für den nächsten Konkurrenten.

Auf der großen Bühne findet beim internationalen Zaubertreffen der FISM (Fédération Internationale des Sociétes Magiques) im Den Haager Kongresszentrum der Stage-Wettbewerb statt. „Stage-Magic“ nennt die Zauberwelt jene Art von Magie, bei der in Piratenhemden gewandete Schönlinge mit gefärbten Augenbrauen und ernstem Gesichtsausdruck in Glitzertrikots eingenähte Jungfrauen zersägen, sich unter Nebelschwaden in einen Raubtierkäfig rein- und wieder rauszaubern, und das am liebsten in Las Vegas. Die zweite Sparte, in der beim alle drei Jahre in einem anderen Land stattfindenden Kongress der Weltmeister gewählt wird, nennt man „Close-up“; sie besteht aus all den straßenerprobten und verblüffend einfach wirkenden Taschenspielertricks, Kartengemauschel, Münzenspielereien – „Micro Magic“. Eine Magie der kleinen Gesten mit großer Wirkung: Wie, zum Henker, kommt die Karte, die der im reizendem Englisch-Spanisch radebrechender Antonio Romero gerade von einem Freiwilligen hat beschriften lassen, in das lange vorher schon verschlossene Kästchen?

Aber das fragt sich natürlich niemand, außer ein paar verdutzten Presseleuten: Die FISM 2003 ist eine Fachmesse, besucht von 3.000 ZauberInnen (sehr wenige Frauen; seit es offiziell keine Hexen mehr gibt, scheinen Damen lieber im Verborgenen zu wirken) und einer Hand voll Journalisten, keine zauberunkundigen Neugierigen sind zugelassen, erst recht nicht die unter 18, die mit dem hier eher kollektiv ignorierten Mainstream-Zauberer Potter kungeln. Denn Trickbewahrung ist Ehrensache. Stattdessen schwafeln Fachleute mit Fachleuten in spe, besuchen den Markt um dort nach stabileren Zauberstäben zu gucken, schmökern in alten Büchern, lassen sich an jeder Ecke von grinsenden Close-up-Experten Seiltricks vorführen und flüchten vor dem fliegenden Tisch.

Oder lernen in den Seminaren von den Profis: Amos Jevkovitch, der König der Zaubertauben aus dem Olymp der Zauberer, dem Magic Castle in Los Angeles, zeigt in seiner Ornithologenvorlesung Volieren-Dias, gibt Tricks zur Krallenmaniküre und psychologischer Taubenführung: „Treat your bird nicely and the act will live from it.“ Außerdem rät er dringend von der Taubenfärbung zu Showzwecken ab. Wenn es aber doch sein muss: Ein Tropfen Lebensmittelfarbe in nicht ziependem Babyshampoo aufgelöst macht das Täubchen zart pastell.

Die Zuschauer, mehr oder weniger erfolgreich in der Taubenzucht aktiv (einer erzählt von sechs Tauben, mit denen er in einem Zimmer zusammenlebt), sind junge und mittelalte Berufsmagier, die fleißig mitkritzeln. Auch vom Täschchen, in das Jevkovitch die gurrende Bühnentaube quetscht („Sie mag es, sie sitzt gern darin“), um sie danach zu Demonstrationszwecken zu „produzieren“ – so nennt man den Vorgang, Tier, Mensch, Münze oder Nanu-Nana-Nippes plötzlich irgendwo auftauchen zu lassen. Die Taube gurrt auch nach der Produktion noch glücklich – Jevkovitch weiß, was Täubchen wollen.

Im Seminar von Mr. Manuel Muerte aus Hamburg, Vize-Close-up-Weltmeister und einsame Spitze in der „Comedy Magic“, lernt man eine Menge über die sagenhafte Fingerfertigkeit der Zauberer: Muerte kann vorne saloppe und todkomische Trash-Sprüche heraushusten und hinter seinem Rücken gleichzeitig sämtliche Brieftaschen auf einmal verschwinden lassen – er beherrscht die Kunst der „Misdirection“ aus dem Effeff.

Am vorletzten Abend tritt Tina Lenert auf, eine der raren bekannten Frauen im Business, mit einer poetischen, hart an der Grenze zu Kitsch balancierenden Mischung aus Harfenspiel, Pantomime und Close-up-Tricks. Mit Geschmack kann man den meisten Zauberern ohnehin nicht kommen – das Hobby Zauberei hat (nicht nur durch die Affinität zur Taubenzucht) etwas sehr Nerdiges auf der einen und etwas Copperfield-Geföhntes auf der anderen Seite. In dem Fall müsste man es vielleicht sogar Hokuspokus nennen.