bücher für randgruppen
: Über Island nach Sylt und dann zum Mond

Denis Scheck, offizieller Buchpromoter der ARD, hüpfte mitsamt edlem Zwirn in die warme Quelle von Landmannalaugar. Hier interviewte er für seine Sendung „Druckfrisch“ den badenden Autor Arthúr Björgvin Bollason. Die euphorische Geste des deutschen TV-Stars wirkte dennoch etwas überzeichnet. Denn der bei diesem feuchten Gespräch vorgestellte literarische Reiseführer ist keineswegs verrückt, unkonventionell oder gar grenzüberschreitend. Er bewegt sich auf grundsolidem, sicheren Terrain. Kurze, unterhaltsame Geschichten werden erzählt, welche die isländische Landschaft reichlich in sich birgt. Solche wie jene von Krimibestseller-Autor Arnaldur Indridason oder Hallgrimur Helgasson, der mit „101 Reykjavik“ einen international erfolgreichen Buch- und Kinohit landete.

Es fehlen weder Literaturnobelpreisträger Halldor Laxness noch die bekannten mittelalterlichen isländischen Klassiker. Ein stimmiger, angenehmer Stadtspaziergang des bunt illustrierten Reisebegleiters entschlüsselt die nach Saga- und Eddagestalten benannten Straßennamen von Reykjavík. Auffällig ist jedoch, dass der eigenwilligste isländische Autor, Gudbergur Bergsson, gar nicht erst vorkommt. Vielleicht ist dessen Domizil im oberen Stock eines postmodernen Hochhauses in Reykjavík gar zu unromantisch für einen harmonischen Literaturspaziergang. Der achtzigjährige Doyen der Gegenwartsliteratur lebt dort mit seinem langjährigen spanischen Lebensgefährten und entzaubert unentwegt die beliebtesten Islandmythen und Klischees. Von Elfe bis Elvis – im Lande selbst und außerhalb. So etwas macht unbeliebt.

Auch das eigenwilligste Buch eines ausländischen Autors über Island, nämlich Wystan Hugh Audens genresprengendes „Letters from Iceland“ von 1936, ruht nach wie vor unbeachtet in der Schublade. Stattdessen finden sich der besonders in den Dreißigern und Vierzigern in Deutschland von Volk und Führung hochgeschätzte, inzwischen aber nur selten gelesene Gunnar Gunnarsson, weiter der arg in die Jahre gekommene Kinderbuchautor „Nonni“ alias Jón Svensson und der bizarre Esoteriker Walter Hansen, der die isländische Landschaft nach „Edda“-Vorlage wortwörtlich interpretiert. Arthúr Bollason, der PR-Manager von Iceland-Air, fliegt ausschließlich die altbekannten, sicheren Strecken. Im Schatten der akuten, großen isländischen Finanz- und Politikkrise wirkt sein Literaturführer denn auch sogleich etwas brav und altbacken.

Etwas nostalgisch wirkt dagegen zunächst das Cover des Syltbuches von Kristine von Soden. Doch hier trügt der erste Eindruck. Sehr differenziert, kritisch und zugleich mit viel Zuneigung beobachtet die Autorin den Niedergang der Insel Sylt von der Sommerfrische der Dadaisten in den 20ern über die Entwicklung zum Jetsettreff in den Sechzigern bis hin zur postmodernen Touristeneinöde. Weder verdammt sie, noch idealisiert sie – trotzdem positioniert sie sich deutlich. Dabei hebt sie etliche vergessene Schätze wie Helene Vargas schöne Meerestierzeichnungen, die das Buch schmücken. Und sie beweist: Es gibt sogar auf Sylt noch etwas zu entdecken.

Zuletzt auf diesem schnellen Inselhopping dieser Kolumne überrascht Altmeister William Blake mit einer absurden Insel,die erstmals in deutscher Sprache mitsamt dem englischen Originaltext aus dem Dunkel auftaucht. Ein bislang völlig unbekanntes Eiland. Schön, kalt, romantisch, frech und albern wie ein waberndes Mondgesicht. WOLFGANG MÜLLER

Arthúr Bollason: „Island“. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 224 S., 10 Euro Kristine von Soden: „Zur Sommerfrische nach Sylt“. Edition Ebersbach, Berlin 2008, 128 S., 14 Euro William Blake: „Eine Insel im Mond“. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 126 S., 18,80 Euro