Expedition ins Stoiberland

Franz Maget klingt nicht verzweifelt, eher trotzig: „Wir wollen uns in Bayern nicht ausgrenzen lassen“

von JÖRG SCHALLENBERG
(Text) und VOLKER DERLATH (Fotos)

Franz Maget hat Glück. Gerade ist er mit seinem Wahlkampfbus zu einer Brotzeit im „Gasthaus zur Post“ abgestiegen, da stellt sich heraus, dass Frau Bösl, die Wirtin, heute ihren 60. Geburtstag feiert. Großes Hallo, schöne Fotos und Frau Bösl freut sich, dass ihr ein so prominenter Besuch gratuliert. Es passiert ja nicht alle Tage, dass der Spitzenkandidat der Bayern-SPD für die Landtagswahl hier in Titting vorbeikommt. Eigentlich kann sich niemand in der Gaststube daran erinnern, dass sich überhaupt schon mal einer hierher getraut hat. Die Autogramme neben der Eingangstür sprechen eine deutliche Sprache: Franz Josef Strauß, Max Streibl, Theo Waigel, Günther Beckstein, Edmund Stoiber und, siehe da, auch Angela Merkel haben Frau Bösl und der „Post“ schon ihre Aufwartung gemacht.

Sie dürften sich wohl gefühlt haben. Titting, 2.700 Einwohner, 130 Kilometer nördlich von München im Altmühltal gelegen, beschert der CSU regelmäßig Wahlergebnisse um die 80 Prozent. Für den SPD-Kandidaten Franz Maget dagegen ist dieser Ort ein schwarzes Loch. „In solchen Gemeinden haben wir vielleicht zehn Prozent Stammwähler“, sagt er, setzt sich mit einem Achselzucken an den Tisch und blickt auf die Autogramme der CSU-Berühmtheiten. Dabei mögen ihn die Leute eigentlich, diesen Sozi. Maget ist offen und zugleich zurückhaltend, er geht auf die Menschen zu und wirkt nie so angestrengt wie sein Gegenspieler um den Posten des bayerischen Ministerpräsidenten, Edmund Stoiber. Aber er ist halt in der falschen Partei. Darum wird ihn Frau Bösl nicht wählen, auch wenn sie findet, dass der Maget ein Netter ist.

Wenn es optimal läuft, dann landet Magets Autogramm auch in dem Rahmen neben der Eingangstür. Das wäre dann ja schon fast eine Revolution, witzeln der Spitzenkandidat und sein Wahlkampfmanager Michael Langer, als sie eine halbe Stunde später wieder im blau-roten Reisebus sitzen. Bis zum Wahltermin am 21. September wird Franz Maget bis zu 25.000 Kilometer für die SPD herumfahren und dabei an vielen, an allzu vielen Orten wie Titting vorbeikommen. Es wird gewiss auch wieder einige Gemeinden geben, in denen die SPD keine einzige Stimme bekommt.

In kaum einem anderen Bundesland ist die Wahlkampftour eines SPD-Kandidaten so hoffnungslos. Seit über 40 Jahren stellt die CSU den Ministerpräsidenten und hält zugleich die absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag. Vor fünf Jahren hat die SPD 28,7 Prozent der Stimmen geholt, jetzt liegt sie nach den letzten Umfragen bei 24 Prozent. Das wäre das schlechteste Ergebnis, dass die Partei je in Bayern hatte. Von der Bundespartei ist wenig Rückenwind zu erwarten, und dass Gerhard Schröder im Wahlkampf gleich fünfmal nach Bayern kommen will, halten nicht alle in Magets Team für eine gute Idee.

Außerdem steht das Land Bayern im Bundesvergleich wirtschaftlich bestens da, auch wenn es dramatische Unterschiede zwischen Regionen wie der strukturschwachen Oberpfalz und dem überaus reichen Oberbayern gibt. Sicher, man kann über die Bildungspolitik streiten oder alle Skandale der CSU im Internet auflisten, aber Maget weiß, dass er wenig Angriffspunkte für seinen Wahlkampf besitzt – abgesehen davon, dass die Mehrheitsverhältnisse so sind, wie sie eben sind: „Man muss den Leuten klar machen, dass diese Machtfülle in den Händen einer Partei etwas zutiefst Undemokratisches ist. Wenn ich das anspreche, höre ich immer wieder Zustimmung, auch von Menschen, die nicht klassische SPD-Wähler sind.“

Der blau-rote Bus mit der Aufschrift „Maget kommt“ erreicht am frühen Nachmittag das Städtchen Kipfenberg. Hier liegt der geografische Mittelpunkt Bayerns, der natürlich eine gute Stelle für einen Fototermin hergibt. Immerhin, der Reporter des Lokalblattes erscheint auch. Dennoch wird gerade hier deutlich, wie weit die SPD in Bayern davon entfernt ist, im Mittelpunkt zu stehen.

„Maget kommt“ steht auch auf den Plakaten, die auf dem Marktplatz von Kipfenberg stehen. Der SPD-Ortsverein hat einen Stand aufgebaut, der so unberührt und geordnet aussieht, als habe noch niemand einen Kugelschreiber oder einen Luftballon genommen. Als Franz Maget den Bus verlässt, sind die Straßen leer, und um ein paar Leuten die Hände zu schütteln, muss der Spitzenkandidat schon zum Gasthaus hinübergehen und durch das geöffnete Fenster hindurch darauf aufmerksam machen, wer gerade angekommen ist. Maget kommt, aber niemand wartet auf ihn. Fünf Minuten später wird der SPD-Stand bereits wieder abgebaut.

Dabei kann Maget hier in Kipfenberg mit Rainer Richter sogar einen Bürgermeister treffen. Einer, der gegen den Willen der CSU mit den Stimmen der SPD und zweier unabhängiger Wählerbündnisse ins Amt gehievt wurde. Doch das bedeutet für die Landtagswahl wenig. „Da wählen hier“, sagt Richter, „doch wieder 60 Prozent die CSU.“ Wenn man mit der Partei auf kommunaler Ebene unzufrieden ist, bedeutet das eben noch lange nicht, dass man deswegen gegen Edmund Stoiber stimmt. Dann profitieren davon die in Bayern starken freien Wählergruppen meist mehr als die SPD.

Dass Schröder gleich fünfmal auftreten soll, halten nicht alle im SPD-Team für eine gute Idee

Woran das wiederum liegt, das erklärt einem Ewald Schurer schon in den ersten zehn Minuten, nachdem der Bus an diesem Morgen um 7 Uhr vor der SPD-Wahlkampfzentrale am Münchner Ostbahnhof losgefahren ist. Schurer gehört zum engeren Team von Maget und ist SPD-Vorsitzender des Bezirks Oberbayern. Für ihn begann der Niedergang der bayerischen Sozialdemokraten bereits in den 70er-Jahren, „als die 68er den Fehler begangen haben, die vorpolitischen Räume in den Sport- und den Kulturvereinen aufzugeben. Die haben gedacht, das wäre nicht so wichtig.“ Jetzt müssen Leute wie Schurer und Maget diese Fehleinschätzung ausbügeln. Längst hat die CSU alle Räume besetzt. In der Bischofsstadt Eichstätt bringt es ein Lokalredakteur des Eichstätter Kuriers auf den Punkt: „Wo die SPD auch hinwill, steht die CSU und sagt: Wir sind schon da!“

Gerade in Eichstätt gibt es dann aber doch wieder einen, der die Lage für die SPD nicht ganz so traurig aussehen lässt. Arnulf Neumeyer, der hier Bürgermeister ist, obwohl die CSU bei den Landtagswahlen eine ansolute Mehrheit sicher hat. Hemdsärmelig und laut, mit Ohrring, Bart und Silberkette um den Hals stellt Neumeyer so ziemlich genau das Gegenteil vom ruhigen, manchmal schon unterkühlt wirkenden Maget in seinem unauffälligen braunen Anzug mit der blauen Krawatte dar. Er ist einer, von dem Maget sagt: „Solche Leute wie der Nulf Neumeyer, die können so ein Gasthaus wie in Titting umdrehen. Die kommen jede Woche in die Kneipe und diskutieren mit den Leuten, bis die merken: Sieh mal, ist ja ein Sozi – aber trotzdem nicht verkehrt.“ Maget nennt Neumeyer Nulf. Es ist ihm wichtig, dass er viele persönliche Kontakte zu den SPD-Kommunalpolitikern pflegt, denn auch da „hat es große Versäumnisse in der Vergangenheit gegeben“.

Was auch daran gelegen haben könnte, dass sich die bayerische SPD lange Zeit als ernsthafter Gegner der CSU begriffen hat und damit beschäftigt war, die Regierungsübernahme vorzubereiten. Angriffslustige Spitzenkandidaten wie Karl-Heinz Hiersemann und Renate Schmidt vermittelten der Partei lange Zeit das Gefühl, bedeutender zu sein als sie es jemals war. Der Ingolstädter Landtagsabgeordnete Manfred Schuhmann, der Maget an diesem Tag begleitet, erinnert sich ungern an diese Zeiten: „Bei der Wahl 1994 haben die Berater der Renate Schmidt eingeredet, dass sie es wirklich schaffen kann, die CSU zu schlagen. Und so ist sie dann auch aufgetreten – wie die künftige Ministerpräsidentin. Das war nicht unbedingt hilfreich.“ Am Ende erreichte Schmidt zwar 30 Prozent, aber dass sie die CSU dadurch in Bedrängnis gebracht hätte, wollte hinterher niemand ernsthaft behaupten.

Anders als Schmidt ist Franz Maget nicht angriffslustig. Er ist Realist. Wenn man einen Tag mit ihm unterwegs ist, dann sieht man, dass es ihm darum geht, die SPD erst mal zu stabilisieren. In den Städten Bayerns steht die Partei vergleichsweise gut da, das betont Maget. Der Name Stoiber fällt dagegen so gut wie nie, ein hart geführter Wahlkampf sieht anders aus. „Wir wollen uns in Bayern nicht ausgrenzen lassen“, sagt Maget einmal. Das klingt nicht verzweifelt, eher trotzig. Und es macht doch in einem Satz klar, wie ernst die Lage ist. Es geht schon lange nicht mehr ums Gewinnen. Es geht ums Überleben. Deswegen ist Maget auch der richtige Kandidat zur richtigen Zeit. Durch ihn begreift die bayerische SPD endlich, wo sie wirklich steht. Und das ist schon mal ein Anfang.