Die Gier der Abzocker

Hans Leyendecker analysiert die großen Skandale der letzten zehn Jahre – und beweist, dass man mehr gegen Korruption tun kann

Hand Leyendecker hat ein wunderbares Lehrbuch über die vielen Gesichter des Machtmissbrauchs verfasst. Er beschreibt die Leute, die in der Öffentlichkeit stehen und ihren Erfolg am Kontostand messen – und nimmt die Leser mit auf eine Deutschlandreise, um aufzuklären über die Gier der Abzocker.

Seine Fahrt beginnt in Wuppertal, dem „Tal der Korruption“. Gerd Kolbe, ein ehemaliger Oberamtsanwalt, der sich um Wirtschaftsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal kümmerte, wechselt da die Seiten. Er wird zum „Anfütterer“ und „Mittler“ für dubiose Hintermänner. Er spendiert teure Uhren, schiebt dicke Geldbündel in die Jacketttasche eines Diakonie-Chefs und lädt zu Luxustouren nach New York. Seine Geschäftspartner nehmen die Geschenke freudig an. Und sind bereit, selbst zu geben. Vor allem die Geschäftsführer der städtischen Wuppertaler Wohnungsbaugesellschaft GWG, Johannes Hiesgen (CDU) und Helmut Sperling (SPD).

Die beiden Bauprofis beteiligen sich an windigen Projekten, die Kolbe für seine Hintermänner anschiebt. Geschmiert wird jeder, der den mühsam eingefädelten Deals gefährlich werden kann. Die herrschende Partei bekommt „Einflussspenden“ über mehr als 500.000 Mark, der Fraktionschef der Grünen einen „Beratervertrag“ und der Chefredakteur des Lokalblattes eine lukrative Firmenbeteiligung.

Die GWG macht bei den Geschäften auf Gegenseitigkeit Millionenverluste, Kolbe und seine Kumpane satte Gewinne. Die Mauschelei geht so lange gut, bis die Staatsanwaltschaft das Schmierentheater Wuppertal aufrollt. Ermittlungen gegen 1.259 Personen wegen des Verdachts auf Korruption werden aufgenommen, der Oberbürgermeister Hans Kremendahl vor Gericht gestellt.

Auf weiteren Reiseetappen widmet sich Leyendecker dem skandalösen Verkauf von Mannesmann an Vodafone und den nordrhein-westfälischen Müllskandalen. Dabei konnte er auf die Klageschrift der Kölner Staatsanwälte zurückgreifen und diese mit eigenen Ermittlungen ergänzen.

Nach Leyendeckers Analyse gibt es Korruption in allen gesellschaftlichen Kreisen. Um das zu belegen, dokumentiert er den Fall Kirch und veröffentlicht den Beratervertrag, mit dem Leo Kirch Exkanzler Helmut Kohl ausstattete. Selbst mit Wohlwollen lässt sich hier keine Gegenleistung erkennen, für die Kohl viel Geld einstreichen durfte.

Auch vor dem eigenen Berufsstand macht Leyendecker bei seiner Reise durch Germoney nicht halt und beschreibt, wie sich Journalisten korrumpieren lassen. Um etwa kostenlose Wasserhähne abzuzocken, wurden Redakteure zu PR-Schreibern. Leider greift er hier zu kurz. Die Beispiele für Korruption unter den Journalisten sind lapidar, ohne wirkliche Tiefe. Mit Wasserhähnen kauft man sich keine Wahlsiege.

Die Rundfahrt führt für den Leser nicht an einen Abgrund, von dem es keinen Weg zurück mehr gibt. Die Leser sollen Gefahr wittern, wenn Politiker undurchsichtige Strukturen weben, um Privatisierungen voranzutreiben. Sie sollen aufhorchen, wenn immer die gleichen Bauträger öffentliche Aufträge bekommen.

„Wenn die Leser sagen, die sind alle korrupt und wir können nichts dagegen tun, dann hat das Buch nichts getaugt“, sagt Leyendecker. Er setzt darauf, dass die rechtsstaatlichen Mittel genutzt werden, um die Bestechlichen bloßzustellen. Betroffene sollen das Schweigekartell brechen. Leyendecker fordert Korruptionsbeauftragte und Schutzmaßnahmen für „Whistle-Blower“. Die Gesellschaft müsse sich darauf verständigen, dass Bestechung nicht normal ist. Kurz: Wir können etwas gegen Korruption tun. DAVID SCHRAVEN

Hans Leyendecker: „Die Korruptionsfalle“. 286 Seiten, Rowohlt, Hamburg 2003, 17,90 Euro