Bücherverbrennung gegen Rechts

Mit einem plakativen Aufruf zu hoher Wahlbeteiligung sollte 2003 der erneute Einzug der DVU ins Stadtparlament verhindert werden: Jetzt wurde diese Aktion der Bremerhavener Bürgergemeinschaft beim Montreux-Werbefestival ausgezeichnet

Von Jens Fischer

Seit 1987 feiert die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) bundesweit herausragende Wahlerfolge in Bremerhaven. Nach Einschätzung des Bremer Wahlforschers Lothar Probst ist die Partei „im gesamten Stadtgebiet inzwischen als wahlfähig etabliert, weil auch die großen Parteien nur mit Larmoyanz reagieren“. Nach den Wahlen werde gestöhnt, „wie konnte das passieren“ – und dann zur Tagesordnung übergegangen. Dagegen wehrte sich die Bremerhavener Bürgervereinigung, ein freier Zusammenschluss aus Kirchen- und Gewerkschaftsvertretern. Auch Apothekerverband und Kreissportbund waren dabei. Ihre Aktion gegen den Einzug der rechten Populisten ins Stadtparlament wurde jetzt beim International Advertising Festival Montreux 2004 in der Kategorie Plakate mit der Goldmedaille ausgezeichnet – einem der angesehensten Preise der Werbe-Branche.

Da die DVU bei der Kommunalwahl 1998 (Wahlbeteiligung: 51,6 Prozent) mit 2.415 Stimmen schon 5,2 Prozent erreichte, wollte die Bürgervereinigung zur Stadtbürgerschaftswahl 2003 für eine höhere allgemeine Wahlbeteiligung werben – und so den erneuten DVU-Erfolg verhindern. Als Partner engagierte man eine der größten Werbeagenturen Deutschlands: die KNSK Werbeagentur GmbH in Hamburg gehört mit 120 Mitarbeitern zu den Top 3 der Branche.

„Wer sein Geld mit Werbung verdient, will der Gesellschaft auch mal was zurückgeben“, erklärt Creative Director Michael Barche seine Motivation für die Werbekampagne gegen Rechts, die er kostenlos entwickelte und umsetzte. Heute sagt er, dass die Goldmedaille aus Montreux sich wohl eigne, um auch Werbung in eigener Sache zu betreiben. Dabei prämierte der Preis nicht den Erfolg der Kampagne, sondern deren Konzept. Während etwa die KNSK-Kampagne für „Lucky Strike“ der Zigarettenmarke einen enormen Imagegewinn verschafft hat, war die Wahlplakat-Aktion in Bremerhaven vor allem gut durchdacht und ästhetisch reizvoll – verfehlte aber ihr Ziel.

Von den 88.000 wahlberechtigten Bremerhavenern gaben bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung im September 2003 nur 51,1 Prozent ihre Stimme ab. Zugleich legte die DVU um 2,9 Prozentpunkte zu. Sie kam auf 8,1 Prozent der Stimmen und stellt jetzt vier statt drei Abgeordnete. „Ohne die KNSK-Kampagne“, so Bürgergemeinschaftssprecher Michael Porwoll, „wäre alles noch schlimmer geworden. Dann hätte die Wahlbeteiligung wohl weit unter 50 Prozent gelegen.“

Wie auch immer: zumindest attraktive Momente der Irritation wurden den Bremerhavenern mit der Kunstinstallation im öffentlichen Raum spendiert. An vier belebten Orten der Innenstadt standen große Posterwände. Vor dem Geschäft des Friseurs Stromski war das Foto der Schaufensterfront eben dieses Frisiersalons zu sehen, nur dass dort jetzt nicht mehr diePreise für Dauerwellen und Strähnchen verzeichnet waren, sondern per digitaler Bildbearbeitung die Kosten für Glatze schneiden und polieren hineinretuschiert wurden. Ebenso standen in der Auslage des Schuhhauses Lange ausschließlich Springerstiefel. Auf dem Poster am Stadttheater waren Menschenschlangen zu sehen, die auf Einlass in die Ausstellung „Entartete Kunst“ warten. Eine von NS-Schergen flankierte Bücherverbrennung fand plakativ vor dem Buchladen Morisse statt. Platzierte sich der Betrachter auf die einige Meter vor dem Plakat gestaltete Pflastermalerei eines Wahlkreuzes, konnte er die optische Täuschung optimal genießen: Deckungsgleich das manipulierte Foto und das Haus dahinter. Originalszenen der Nazizeit und fiktive Visionen einer machtvollen politischen Rechten erschienen im Stadtbild der Gegenwart. Auf dem Pflaster stand: „Wer nicht wählt, hat keine Wahl.“

Aber ist das korrekt, die historische Rückbindung der DVU an die Zeit des Nationalsozialismus? „Problematisch“ findet das jedenfalls Lothar Probst. Die DVU-Wähler seien keine Skins und ewig gestrige Nazis, sondern vor allem schlecht gebildete junge Männer, sozial desintegriert, ohne Job-Chance. Versatzstücke eines rechtsextremen Weltbildes würden in „unappetitlichen DVU-Parolen zwar immer wieder auftauchen, aber einen Führerstaat will die Partei nicht“. Daher erkläre die Plakataktion nicht das Phänomen DVU. Auch wenn sie die Gefahren des DVU-Gedankengutes problematisiere. Dieses Angebot zur Diskussion hätten die Bremerhavener genutzt, beobachtete Barche vor Ort.

Der Werbe-Designer erklärt, dass es keinen Unterschied mache, ob man eine Kampagne für Autos, Schokoriegel oder gegen die DVU konzipiere. Immer gehe es darum, ikonografisches Bildmaterial mit einem Kick hin zur Übertreibung nutzbar zu machen, um mit krassen Motiven Aufmerksamkeit heischen zu können.

Die Folgen von Intoleranz, Dumpfheit und Rechtsradikalismus würden durch die Motive des Nationalsozialismus zugespitzt vor Augen geführt. Aktuelle Beispiele – wie ausländerfeindliche Anschläge – wären in ihrer Symbolkraft nicht so stark gewesen. „Wir wollen nicht aufklären, sondern mobilisieren“, sagt Barche. Entweder zum Kauf verführen – oder eben zum politischen Handeln.

Das hat auch die Gegenseite verstanden. Die Plakate wurden mehrfach abgerissen. Und der Bremerhavener DVU-Vorsitzende sei, so berichtet Michael Porwoll von der Bürgergemeinschaft, sei in den Buchladen hinter dem Bücherverbrennungsplakat gestürmt und habe mit Gegenmaßnahmen gedroht. Schon deshalb fühlt sich die Bürgergemeinschaft bestätigt. Porwoll: „Bei der nächsten Wahl in drei Jahren werden wir wieder eine große Werbeaktion gegen die DVU organisieren.“